Vier von fünf Rentnern sind mit ihrer finanziellen Situation zufrieden. Viele Pensionierte müssen nicht vom Ersparten leben, sondern können ihr Vermögen sogar weiter vergrössern. Das zeigt eine aktuelle Umfrage von Swiss Life. Schweizer Rentnerinnen und Rentnern gehts finanziell so gut wie noch nie, Studienautor und Vorsorgeexperte Andreas Christen (37) spricht von einer «goldenen Generation». Ein Grossteil der über 65-Jährigen kann sich mehr leisten als viele jüngere Arbeitstätige.
Deshalb geraten die Rentner-Rabatte jetzt unter Druck. Mit dem AHV-Ausweis günstiger ins Kino, in den Zoo, ins Museum: «So eine Vergünstigung nur nach dem Alter ist absurd», sagt Ökonomie-Professor Reiner Eichenberger (60) von der Uni Freiburg und legt noch einen drauf: «Es ist eine Unverschämtheit, den einen ein Privileg allein aufgrund ihres Alters zu geben.»
Subventionen gezielt ausschütten
Auch Avenir Suisse sieht in den Vergünstigungen für eine Altersgruppe keine Zukunft. Direktor Jérôme Cosandey (51): «Dieser Rabatt macht keinen Sinn mehr. Das ist ein Überbleibsel aus der Zeit, als es nur die AHV als Altersvorsorge gab. Warum soll man mit öffentlichen Geldern Leute unterstützen, die es gar nicht nötig haben?» Gerade bei ÖV-Tickets sei das sehr problematisch: «Viel schlauer wäre es, diese Subvention gezielter an Leute auszuschütten, die es wirklich nötig haben», sagt der Forschungsleiter «Tragbare Sozialpolitik» des Wirtschaftsverbands.
Die Rabatte für Rentner werden sogar von den Senioren-Verbänden als nicht mehr zeitgemäss erachtet. Heidi Stöckli (43) von Pro Senectute Kanton Luzern bevorzugt eine zielgerichtetere Unterstützung für Bedürftige: «Vergünstigungen nach dem Giesskannen-Prinzip helfen Armutsbetroffenen nur bedingt.» Ins gleiche Horn bläst Heinz Weber (69) von den Grauen Panthern Nordwestschweiz. Er bestätigt, dass es sehr vielen Rentnern gut geht und gleichzeitig viele jüngere Menschen finanzielle Probleme haben: «Wichtig im Kampf gegen die Armut ist vor allem, dass staatliche Unterstützung für Leute in Not einfach zugänglich ist.» Egal, welcher Alterskategorie sie angehören.
Einkommen statt Alter als Kriterium
Valérie Piller Carrard (44), SP-Nationalrätin und Präsidentin von Pro Familia, sieht auch Bedarf, vermehrt gezielt Leute mit knappem Budget zu unterstützen. «Gerade für Familien sind in den letzten Jahren die Kosten rasant gestiegen», sagt sie. Gleichzeitig hätten viele Dienstleister die Rabatte für Familien gestrichen. Sie will aber nicht, dass Familien die Unterstützung auf Kosten der Rentner erhalten: «Es gibt sehr viele betagte Personen, die auf die Vergünstigungen angewiesen sind.»
Warum nicht eine Art Bedürftigen-Rabatt statt eines Rentner-Rabatts? Davon würden auch bedürftige Pensionäre profitieren. Ein einfaches Rezept für eine Kursänderung gebe es nicht, sagt André Bähler, Leiter Politik und Wirtschaft bei der Stiftung für Konsumentenschutz: «Es würde zwar mehr Sinn machen, nicht das Alter, sondern das Einkommen als Kriterium für Rabatte zu nehmen, doch das ist weniger praktikabel.»
Jungparteien wollen nichts ändern
Alles beim Alten lassen wollen bemerkenswerterweise die Jungparteien. Marc Rüdisüli (24), Präsident der Jungen Mitte: «Auch wenn der arme, verlumpende Senior ein Mythos ist, darf man den Rentnern deswegen nicht den Rabatt im Kino oder der Badi streichen.» Gleicher Meinung ist Jungfreisinnigen-Präsident Matthias Müller (29): «Es gibt nach wie vor viele Pensionierte in prekärer materieller Lage.» Juso-Präsident Nicola Siegrist (25): «Rabatte für Seniorinnen und Senioren müssen unbedingt beibehalten werden, damit man sicherstellen kann, dass alle Zugang zum gesellschaftlichen Leben haben.» JSVP-Chef David Trachsel (27) findet, die Jungen hätten grössere Sorgen – zum Beispiel ihre eigene AHV.
Für Ökonomieprofessor Eichenberger ist der AHV-Rabatt «billigster Stimmenfang und Denken aus dem Mittelalter». Er will dagegen ankämpfen.
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