Grossmufti Shawky Allam, geistiges Oberhaupt der Sunniten
Der IS hat den Islam entführt

Davos GR, am Rande des Weltwirtschaftsforums: Die Sicherheitsbeamten staunen nicht schlecht, als ein islamischer Geistlicher an ihnen vorbei die reformierte Kirche betritt: Es ist Schawki Allam, Grossmufti von Kairo, geistiges Oberhaupt einer Mehrheit der Sunniten, zu denen auch die Anhänger des IS gehören.
Publiziert: 25.01.2016 um 12:50 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:11 Uhr
Der gut gelaunte Grossmufti im  Gespräch mit Astrid von Stockar.
Foto: Pascal Mora
Astrid Von Stockar (Text), Pascal Mora (Fotos)

Allam bezeichnet sie als «geistig verwirrte, ungebildete Terroristen». Sie hätten «unsere Religion entführt» und missbrauchten den Islam für ihre kranken Taten. Es sind ungewohnt deutliche Worte für einen sunnitischen Geistlichen. Und er zahlt einen hohen Preis dafür: Drohungen, auch an die Adresse seiner Frau, sind an der Tagesordnung. Kürzlich wurde in Ägypten sein Auto in die Luft gesprengt. Allam lässt sich dadurch nicht von seinem grossen Vorhaben abbringen, die Verständigung zwischen den Religionen voranzutreiben. In dem christlichen Gotteshaus spricht er exklusiv über seine Friedensbemühungen, über die Terrormiliz «Islamischer Staat» und darüber, ob seine Religion mit westlichen Werten vereinbar sei.

Am Donnerstag in der reformierten Kirche Davos. Schawki Allam: «Die IS-Terroristen sind ungebildet und geistig verwirrt.»
Foto: Pascal Mora

Eminenz, was ist Ihre Mission hier in Davos?
Schawki Allam: Das WEF ist ein wichtiger Treffpunkt politischer, wirtschaftlicher und religiöser Führer der ganzen Welt. Ich komme hierher, um der Stimme des authentischen Islams Kraft zu verleihen, und um Missverständnisse über unseren Glauben aus dem Weg zu räumen.

Worum geht es in der Initiative, die Sie zusammen mit Uno-Generaldirektor Michael Møller präsentiert haben?
Wir leben in einer beunruhigenden Welt voller Krisen. Der Terrorismus schlägt überall zu. Er kommt perfide verkleidet im Gewand der Religion daher und steht dem religiösen Frieden und der Sicherheit der Menschen im Wege. Der erste Schritt, um dieser Bedrohung Herr zu werden, ist die Wurzel des Übels zu erkennen, eine gemeinsame internationale Verantwortung zu definieren und eine globale Partnerschaft quer durch alle Bereiche der Gesellschaft zu bilden. Als religiöser Führer möchte ich bei einer Lösung mithelfen.

Wie kann Ihre Initiative helfen?
Wir möchten vor allem bewusst machen, wie wichtig Prävention ist! Man muss die jungen Leute davon abhalten, den radikalen Gruppen zu folgen!

Wie kann das gelingen?
Den Medien kommt eine besondere Bedeutung in der Bewusstseinsbildung zu. Wir möchten konkret dazu auffordern, die Extremisten medial zu isolieren und der überwiegenden Mehrheit der moderaten Muslime mehr Gewicht zu geben.

Sie geben den moderaten Muslimen ein Gesicht und eine Stimme. Sprechen Sie wirklich im Namen aller Muslime?
Ich kann nicht sagen, dass ich im Namen aller Muslime spreche, aber sicher im Namen einer religiös fundierten Methodik, die sich den radikalen Theorien der Extremisten widersetzt. Ich leite eine der wichtigsten und renommiertesten Institutionen der islamischen Welt.

Welche?
Es ist das Zentrum für islamische Rechtsfragen: die Dar al-Ifta. Sie ist über tausend Jahre alt und stark in der islamischen Geschichte verwurzelt. Sie hat über Generationen vielen Millionen Muslimen den Weg gezeigt. Unsere Methodik basiert auf tiefen religiösen Werten und Traditionen, aber es geht auch darum, Frieden und Stabilität in der heutigen Zeit zu sichern und das friedliche Zusammenleben verschiedener Religionen zu fördern.

Muslimische Flüchtlinge fliehen vor religiös begründeter Gewalt nach Europa. Und Sie behaupten, der Islam sei eine friedliche Religion?
Wie jedes menschliche Wesen fühlen wir Muslime Schmerz und Trauer, wenn irgendwo auf der Welt brutale Terrorattacken geschehen. Ich möchte klarstellen: Nicht Religionen per se sind gewalttätig, aber ihre Anhänger können es sein! Dieses Phänomen gibt es in allen Religionen, nicht nur im Islam. Ich kann Ihnen versichern, dass die Kernbotschaft des Islam der Frieden ist!

Wo steht das geschrieben?
Dies kann ich Ihnen anhand vieler Stellen im Koran belegen, in denen der Prophet zitiert wird. Wer den Koran wirklich studiert, lernt als Erstes, dass, wer anderen Gnade gewährt, selber Gnade durch den barmherzigen Gott erfahren wird: Tue Gutes auf Erden und du wirst im Himmel belohnt werden! Nun gibt es leider böse gesinnte Anhänger, die alles verdrehen und die Leute irreführen.

Wieso tun diese Radikalen das?
Weil sie geistig verwirrt sind! In ih-rem verwirrten Geist interpretieren sie die religiösen Traditionen und missbrauchen sie für ihre Zwecke. Alle religiösen Anführer des Islams müssen jetzt zusammenhalten gegen diese Leute, die unseren Glauben entführt haben! Wir müssen eine starke Stimme bilden, welche die Kernbotschaft unseres Glauben vermittelt: Dialog, Frieden und Koexistenz!

Betet der IS also nicht zum selben Gott wie Sie?
Der IS ist ganz klar eine Terrororganisation, die Recht und Ordnung bricht, die sich völlig ausserhalb des Islams bewegt und deren Taten sich gegen den Islam richten!

Wie wollen Sie Terroristen bekämpfen, die im Namen Allahs töten?
Als religiöser Führer versuche ich, die Fatwas der IS systematisch zu entkräften und Gegen-Fatwas zu erlassen, die auf den wahren Werten des Islams beruhen. Aber die ganze Welt muss jetzt gegen diese tödliche Gefahr und diesen kranken Irrglauben zusammenstehen!

Im Islam sind Frauen und Männer einander nicht gleichgestellt. Wie erklären Sie das?
Wir stellen unzählige Fatwas aus, also Rechtsgutachten, die das Recht der Frau auf Würde, Bildung, Arbeit und politische Ämter bekräftigen. Wir verurteilen jede religiös motivierte Unterdrückung der Frau!

Die Silvesternacht in Köln hat eine andere Einstellung über die Würde der Frau gezeigt!
Das waren barbarische, ungebildete Männer, die keine Ahnung vom Islam haben! Wie jede Religion haben wir gute und schlechte Anhänger. Als religiöser Führer habe ich diese Aktion aufs Schärfste verurteilt!

Ein dringender Anruf unterbricht das Gespräch: Der ägyptische Präsident Abd al-Fattah as-Sisi bittet den Grossmufti, sofort aus Davos abzureisen, um am Montag die Rede zum 5. Jahrestag der Revolution zu halten und das ägyptische Volk zum gemeinsamen Kampf gegen islamistischen Terror und Gewalt aufzurufen.

Ist der Islam überhaupt kompatibel mit unseren westlichen Werten?
Der Islam hat mit vielen Kulturen und Zivilisationen koexistiert! Nochmals: Islam ist die Religion des Friedens, der Barmherzigkeit und der Toleranz! Das Ziel der Scharia als islamisches Gesetz ist es auch nicht, Gottesstaaten zu errichten oder Andersgläubige zu verfolgen und hinzurichten! Vielmehr ist die Scharia als Gottes Wille zu verstehen, dass es den Menschen zu Lebzeiten gut geht und sie im Jenseits das Heil finden – Ideale, die mit allen Wertesystemen zusammenpassen!

Muss der Islam reformiert werden, um ihn der Neuzeit anzupassen?
Nicht der Islam muss reformiert werden, aber muslimische Geistliche sollten nochmals treu der traditionellen Lehre über die Bücher und das gewaltige intellektuelle Erbe des Islams einer gesunden, kritisch-modernen Analyse unterziehen!

Was ist Ihr persönliches Ziel für die Amtszeit als Grossmufti von Kairo?
Es gibt keine bessere Waffe gegen Extremismus, als eine gute Bildung! Ich möchte den Menschen die wahre Lehre des Islams beibringen und den interreligiösen Dialog fördern. Es gibt ein Sprichwort des Propheten: «Die Menschheit sitzt im selben Boot.» Alle Religionen müssen miteinander auskommen, weil das Boot beim Streit kentern könnte. l

Persönlich
Dr. Schawki Ibrahim Allam (54), Professor für islamisches Recht an der Al-Azhar- Universität, seit 2013 der 19. Grossmufti von Kairo. Die Position ist in der islamischen Welt hoch angesehen – ähnlich wie die des Papstes bei den Katholiken. Der Grossmufti kann Fatwas erlassen, Gesetze nach dem islamischen Glauben.

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