«Gravierende Probleme»
Bund fürchtet Ausbreitung ansteckender Krankheiten

Die Belastung des Gesundheitswesens fordert seinen Tribut. Experten vom Bund warnen vor einer Ausbreitung übertragbarer Krankheiten.
Publiziert: 28.12.2020 um 06:46 Uhr
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Aktualisiert: 28.12.2020 um 08:36 Uhr
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Die Belastung des Gesundheitswesens fordert seinen Tribut.
Foto: imago images/7aktuell
Sven Ziegler

Die Angst vor einer Ausbreitung ansteckender Krank­heiten wächst. Das zeigt ein internes Protokoll des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aus einem Gespräch mit den Kantonsärzten, das SonntagsBlick vorliegt. Der Grund: Die gesamten Kapazitäten des Gesundheitssystems werden derzeit auf die Bekämpfung des ­Coronavirus ausgelegt.

Insbesondere sexuell übertrag­bare Krankheiten wie HIV seien in den vergangenen Monaten vernachlässigt worden. Zudem mussten HIV-Zentren teil­weise aufgrund personeller Engpässe geschlossen werden – mit Folgen. «Es ist ­bedenklich, dass wegen Covid für andere Infektionskrankheiten keine Test- und Beratungskapazitäten mehr zur Ver­fügung stehen. Mittel- und langfristig dürfte eine solche Si­tuation zu gravierenden Problemen führen», heisst es in dem Papier.

Die Sorge der Behörden ist berechtigt. Die Weltgesundheitsorganisation warnte Anfang Dezember in einem Bericht vor einer Aus­breitung des HI-Virus. Corona habe die Versorgungsketten zusammen­brechen lassen, vor allem ärmere Länder erhielten nicht mehr genügend Medikamente. Rund eine Million Menschen weltweit warten auf eine Behandlung. Die Folge, so heisst es im Bericht: «Insgesamt könnte es aufgrund der Corona-Krise 150'000 zusätzliche Todesfälle durch Aids geben.»

Medizinische Versorgung gewährleistet

In der Schweiz ist die medizinische Versorgung gewährleistet; Experten erwarten hierzulande keinen dramatischen Anstieg der Todesfälle.

Allerdings dürfte es vermehrt zu Infektionen kommen, die unentdeckt bleiben. Zahlen des BAG, die SonntagsBlick auf Anfrage erhielt, zeigen nämlich: Während des Lockdowns brach die ­Anzahl Besuche in den Zentren sexuell übertragbarer Krankheiten um 80 Prozent ein. Ebenso gross ist der Einbruch bei den durchgeführten HIV-Tests.

Infektiologe Huldrych Günthard (59) von der Universität Zürich sagt: «Durch den Rückgang bei den HIV-Tests werden wir möglicherweise einen Teil der Neuansteckungen verpassen.»

Der HIV-Forscher sieht allerdings auch positive Effekte der Corona-Krise. Aufgrund der geltenden Kontakteinschränkungen könnte die Gesamtsumme neuer Ansteckungen kurzfristig einbrechen. «Ersten Prognosen zufolge könnten sich die HIV-Ansteckungen vorübergehend um bis zu 30 Prozent reduzieren», sagt Günthard.

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Gefahr der Überkompensation

Dass die Anzahl Neuübertragungen langfristig reduziert wird, glaubt Facharzt Günthard aber nicht: «Ich vermute sogar, dass die Leute nach dem Ende der Einschränkungen durch die Corona-Massnahmen eventuell eine Überkompensation betreiben könnten.»

Dann könnten auch die An­steckungszahlen wieder zunehmen. Umso wichtiger sei es, das Angebot für die Testung von HIV und für ­andere sexuell übertragbare Krankheiten wieder in Erinnerung zu ­rufen, sagt der Forscher.

Die Aids-Hilfe beobachtet die ­Si­tuation ähnlich. Geschäftsführer ­An­dreas Lehner (53) will daher die ­Planung der Kampagnen im Frühjahr frühzeitig angehen: «Wir werden uns genau überlegen, auf welche Art von Prävention wir zu welchem Zeitpunkt setzen werden.»

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