Es ist ein Bild, das den Winzern die Tränen in die Augen treibt. Tonnenweise überreife Trauben, die an den Rebstöcken hängen – obwohl die Ernte längst vorüber ist. Auch in Malans GR sieht es momentan so aus. Was ist los in der Bündner Herrschaft?
Anton Boner (75), pensionierter Rebbauer, schüttelt den Kopf: «Viele Rebbauern müssen dieses Jahr Trauben wegen eines bürokratischen Irrsinns hängen lassen.» Mit «Irrsinn» meint er die Standards des AOC-Labels, der geschützten Herkunftsbezeichnung. Denn: Wenn Rebbauern ihre Trauben für AOC-Wein verkaufen, bekommen sie 5.20 Franken pro Kilo. Für den normalen Landwein gibts gerade mal 50 Rappen. Zu wenig, um den Aufwand für die Ernte zu decken.
Ambitionierte Ziele
Das Problem: Die AOC-Standards sehen eine Erntebeschränkung vor. Es darf pro Quadratmeter Reben nur eine festgelegte Menge an Trauben geerntet werden. Das bestätigt der Bündner Rebbaukommissär Hans Jüstrich. Der Bund gibt bei der am häufigsten vorkommenden Blauburgunder-Traube etwa 1,2 Kilogramm pro Quadratmeter vor.
Das Label Appellation d'Origine Contrôlée (AOC, manchmal auch AOP oder italienisch DOC) garantiert Konsumenten, dass der Wein in einer Flasche auch wirklich aus jener Gegend stammt, die auf der Etikette deklariert wurde. Zudem sollen AOC-Standards die Qualität der Label-Weine sicherstellen. So sehen sie unter anderem eine Erntebeschränkung vor. Auch muss der Wein in traditioneller Weise hergestellt werden. Die Einhaltung der AOC-Standards wird von einer Kontrollkommission überwacht.
Das Label Appellation d'Origine Contrôlée (AOC, manchmal auch AOP oder italienisch DOC) garantiert Konsumenten, dass der Wein in einer Flasche auch wirklich aus jener Gegend stammt, die auf der Etikette deklariert wurde. Zudem sollen AOC-Standards die Qualität der Label-Weine sicherstellen. So sehen sie unter anderem eine Erntebeschränkung vor. Auch muss der Wein in traditioneller Weise hergestellt werden. Die Einhaltung der AOC-Standards wird von einer Kontrollkommission überwacht.
Im Kanton Graubünden (Winzerslogan: «Die kleine Gegend der grossen Weine») hat sich die Branche sogar auf maximal 900 Gramm pro Quadratmeter festgelegt, wie Jüstrich sagt.
Kein normales Jahr
Grund: Je weniger Trauben an einem Rebstock hängen, desto besser wird in normalen Jahren die Qualität des Weines. Doch 2018 war nicht normal, sondern ein Jahrhundertsommer. Und das bringt viele Rebbauern zur Verzweiflung.
«So ein Jahr habe ich noch nie erlebt», sagt Anton Boner. «Die Bedingungen waren perfekt!» Das Resultat: viele Trauben mit hohem Zuckergehalt im Herbst – beste Voraussetzungen für einen Top-Jahrgang.
Viel zu hohe Erntemengen
Das Problem: Das Rekordjahr brachte Erntemengen hervor, mit welchen die Rebbauern nicht rechnen konnten. Viele Winzer hatten mehr Trauben, als die Bündner AOC-Standards erlauben. Darum muss ein Teil der feinen Trauben nun ungenutzt am Stock verfaulen.
Bündner Rebbauern sind sich einig. Das Jahr 2018 war in fast allen Belangen ein Traum: sehr warm, viel Sonne, kaum Schädlinge oder Fäulnis – perfekte Bedingungen.
Dies zeigt sich auch im Zuckergehalt der Früchte: Müssen Trauben von AOC-Weinen mindestens 80 Grad Oechsle haben, begeistern die Trauben in diesem Jahr mit über 100 Grad. Einer von vielen Hinweisen, dass dieser Jahrgang ausgezeichnete Qualität liefern wird.
Aber auch die Erntemenge ist aussergewöhnlich. Sie liegt allein in der Bündner Herrschaft bei zehn Prozent über dem Zehnjahresschnitt.
Dasselbe Bild zeigt sich in allen anderen Weinregionen der Schweiz. So begann die Ernte in diesem Jahr bereits Ende August – auch das gab es noch nie.
Höchstens das Jahr 1982 kann mit dem aktuellen Jahrgang verglichen werden. Damals sorgte vor allem die Westschweiz für Schlagzeilen. So war die Weinlese so ergiebig, dass Schwimmbäder in Gemeinden geleert werden mussten, um sie dann mit Wein zu fluten. Denn damals kannte man noch keine Erntebeschränkung nach AOC-Standards. Flavio Razzino
Bündner Rebbauern sind sich einig. Das Jahr 2018 war in fast allen Belangen ein Traum: sehr warm, viel Sonne, kaum Schädlinge oder Fäulnis – perfekte Bedingungen.
Dies zeigt sich auch im Zuckergehalt der Früchte: Müssen Trauben von AOC-Weinen mindestens 80 Grad Oechsle haben, begeistern die Trauben in diesem Jahr mit über 100 Grad. Einer von vielen Hinweisen, dass dieser Jahrgang ausgezeichnete Qualität liefern wird.
Aber auch die Erntemenge ist aussergewöhnlich. Sie liegt allein in der Bündner Herrschaft bei zehn Prozent über dem Zehnjahresschnitt.
Dasselbe Bild zeigt sich in allen anderen Weinregionen der Schweiz. So begann die Ernte in diesem Jahr bereits Ende August – auch das gab es noch nie.
Höchstens das Jahr 1982 kann mit dem aktuellen Jahrgang verglichen werden. Damals sorgte vor allem die Westschweiz für Schlagzeilen. So war die Weinlese so ergiebig, dass Schwimmbäder in Gemeinden geleert werden mussten, um sie dann mit Wein zu fluten. Denn damals kannte man noch keine Erntebeschränkung nach AOC-Standards. Flavio Razzino
Dabei haben die Rebbauern keine Wahl. Wenn sie die Trauben dennoch ernten, wird die gesamte Ernte auf Landwein-Niveau heruntergestuft, wie Kommissär Jüstrich sagt. Die Gewinneinbussen? Eklatant!
Die Branche schaut beim Faulen zu
Dabei hätte der Kanton Graubünden in diesem Extremjahr die Menge bis zur Vorgabe des Bundes hochschrauben können. Also von 900 Gramm auf 1,2 Kilo. «Dann hätten viele Rebbauern dieses Problem nicht», sagt Boner.
In der Hand hätte es der Weinbauverband Graubünden gehabt. Dessen Chef, Ueli Liesch, will davon aber nichts wissen. So ist er überzeugt, dass nur einzelne Rebbauern tonnenweise Trauben verfaulen lassen mussten: «Die meisten kommen gut zurecht mit der Natur, auf die man sich nie wirklich verlassen kann.»
Aber auch er räumt ein, dass in diesem perfekten Weinjahr für gute Qualität auch höhere Mengen hätten geerntet werden können. Bloss: «Das hätte man im Frühling beschliessen sollen – jetzt ist es zu spät.»
Boner will mehr Flexibilität
Für Boner ist dieses Vorgehen unverständlich. «Wenn jetzt alle in der Branche von einem unglaublichen Bombenjahr sprechen, muss man doch flexibler sein», sagt er.
Zumal das tonnenweise Faulenlassen von Trauben auch moralisch sehr fragwürdig sei. «An so bürokratischem Unsinn sieht man jetzt wieder, dass es uns in der Schweiz einfach zu gut geht», schimpft Boner.