Valerio Vecellio (23) kann sein Glück kaum fassen. Der junge Maurer aus Le Prese GR im Puschlav machte die Fotos seines Lebens. Der Bündner wusste schon kurz nach seinen spektakulären Aufnahmen: «Solche Bilder gelingen mir vermutlich nicht noch einmal.»
Es passierte am Donnerstag, kurz vor zehn Uhr morgens, auf etwa 2000 Meter Höhe. Auf der Pirsch nach einem tollen Wildtierbild lief dem Hobbyfotografen unterhalb des Berninapasses urplötzlich ein junger Braunbär vor die Linse. Als Vecellio zum Schuss kommt, ist der Bär nur 30 Meter von ihm entfernt.
Er erinnert sich: «Ich beobachtete eine Gämse mit zwei Kitzen. Plötzlich rannten sie den Hang hinauf. Ich vermutete, dass sie vor einem Wanderer flüchteten.» Der Fotograf schnappt sich sein Fernrohr, schaut nach, wovor die Gämsen geflohen sein könnten. Dann bemerkt er weitere aufgeschreckte Tiere: «Über 20 Hirsche rannten ebenfalls vor irgendetwas weg. Ich war noch immer davon überzeugt, dass Wanderer die Tiere störten.»
Doch dann entdeckt er den wahren Grund für die Flucht der Tiere: «Ein Bär traversierte etwa 150 Meter unterhalb von mir ein Schneefeld. Er lief zügig den Hang hinauf in Richtung Berninapass. Zum Glück hatte ich genug Zeit, um ihn ein erstes Mal zu fotografieren und zu filmen.»
Dann verschwindet der Braunbär im Bergwald. Vecellio nimmt seinen ganzen Mut zusammen: «Ich folgte vorsichtig den Spuren im Schnee. Sie führten in die Nähe des Hospizes.» Nun kommt der grosse Augenblick für den Fotografen: «Der Bär hatte sich umgedreht und kam mir entgegen. Er sah mir in die Augen. Es war ein magischer Moment.»
Der zottelige Vierbeiner geht in einer Distanz von etwa 30 Metern an Valerio Vecellio vorbei. Der Fotograf drückt ab, bleibt gelassen wie ein Profi. Die Bilder gelingen, sind gestochen scharf. «Ich hatte keine Angst. Der Bär sah mich zwar an, hielt aber nicht an. Er drohte mir auch nicht. Er machte keine Anstalten, mich anzugreifen.»
Nach ein paar Metern verschwindet Meister Petz erneut im Wald. Die Spur verliert sich. Dennoch ist der Hobbyfotograf überglücklich: «Das war der erste Bär, den ich vor der Kamera hatte. Und es wird vermutlich auch für immer der letzte sein. Es war ein einmaliges Erlebnis.»