Tertianum in Chur prellt behinderte Mitarbeiterin um ihren Lohn
Kesb durchleuchtet auch das Altersheim

21 Jahre lang arbeitete Daniela Rothenberger fürs Altersheim Villa Sarona in Chur. Dann strich ihr der Arbeitgeber den Lohn und sackte gleichzeitig ihre Sozialhilfe ein. Nun hetzte man Rothenberger die Kesb auf den Hals. Die Behörde rechtfertigt sich.
Publiziert: 26.02.2020 um 08:41 Uhr
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Daniela Rothenberger (62) arbeitet seit 21 Jahren in der Villa Sarona.
Foto: Thomas Meier
Anian Heierli, Helena Schmid

Sechs Tage Arbeit im Monat für 100 Franken Lohn. Daniela Rothenberger (62) fühlt sich betrogen (BLICK berichtete). Die IV-Rentnerin leidet an einer geistigen Beeinträchtigung. Trotzdem arbeitet sie in der Kantine des Altersheims Villa Sarona in Chur GR. Seit 21 Jahren deckt sie die Tische, spült das Geschirr und fegt den Boden.

Doch im September 2019 kürzt ihr das Altersheim den Lohn von 500 auf 100 Franken – angeblich wegen mangelnder Leistung. BLICK-Recherchen deckten auf: Die Nobel-Altersheimkette Tertianum kassiert für sie vom Kanton monatlich 264 Franken. Der Grund: Das Sozialamt entschädigt Betriebe, die Personen mit Behinderung beschäftigen. Man verdient also an der behinderten Mitarbeiterin.

Das Sozialamt des Kantons Graubünden sah darin kein Problem. Die Behindertenorganisation Pro Infirmis – welche die Reduktion des Lohns gutgeheissen hat – schwieg. Tertianum versuchte die Publikation zu verhindern. Die Bündner Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) schaltete sich ein und setzte der Frau über Nacht per superprovisorische Verfügung vorübergehend einen Beistand vor die Nase. Gegen ihren Willen.

Kesb rechtfertigt Superprovisorische

Vorwürfe von Kungelei wurden nach der BLICK-Enthüllung laut. Jetzt äussert sich die Kesb Graubünden zum Fall, ohne auf persönliche Details einzugehen. Geschäftsleiter Giusep Defuns: «Wir sind bei Meldungen von Amtes wegen zum Handeln verpflichtet.» Doch braucht es wirklich eine superprovisorische Verfügung? Der Kesb-Chef dazu: «Das kommt auf die Meldung, den Urheber, die Umstände und die Dringlichkeit an.»

Gerade Superprovisorische werden in der Regel rasch behandelt. «Sobald herauskommt, dass der Entscheid nicht angemessen ist, wird er aufgelöst», macht Defuns klar. Mit einer Superprovisorischen könne man im Notfall einen Riegel schieben. Etwa wenn Personen nicht selbständig entscheiden, sondern von aussen beeinflusst werden.

Doch wer wollte Rothenberger so dringlich verbeiständet sehen? Wegen des Persönlichkeitsschutzes kann Defuns dies nicht beantworten. Dass die Meldung aber kurz vor der Publikation des Falls bei der Behörde eingegangen ist, hinterlässt mehr als einen faden Beigeschmack. Die Kesb wirkt instrumentalisiert, um Daniela Rothenberger mundtot zu machen.

Defuns: «Wir prüfen das Arbeitsverhältnis»

«Die Kesb darf sich selbstverständlich nie instrumentalisieren lassen», wehrt sich Defuns. «Wir sind bei Meldungen zum Handeln verpflichtet. Unsere Experten werden auch genau hinschauen, ob das Arbeitsverhältnis korrekt war.» Heisst: Jetzt wird auch das Altersheim durchleuchtet! Die Kesb-Spezialisten werden auch prüfen, ob die Bezahlung von 100 Franken angemessen ist, während Tertianum Sozialamt-Gelder für sich behielt. Wenn etwa eine Person nicht in der Lage ist, ihre Rechte selbst wahrzunehmen, kann die Kesb einen Rechtsanwalt als Verfahrensbeistand einsetzen.

Die Altersheimgruppe Tertianum reagierte gestern schriftlich auf eine Anfrage. «Wir prüfen aktuell gruppenweit die Entschädigungen an IV-Bezüger», heisst es im knappen Statement. Klar ist: Man will Seniorin Rothenberger als Mitarbeiterin behalten. «Es ist uns ein Anliegen, auch in Zukunft Menschen mit einer Beeinträchtigung eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen und diese korrekt zu entschädigen.»

Unbeantwortet liess man dagegen die Frage nach einer Entschuldigung sowie der Verantwortlichkeit zur Kesb-Meldung.

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