Fünf Jahre nach Bergsturz
Bondo auf dem Weg in die Normalität

Heute vor fünf Jahren donnerten im Bergeller Seitental Val Bondasca drei Millionen Kubikmeter Fels zu Tal. Das Südbündner Bergdorf Bondo entging knapp einer Zerstörung. Acht Menschen starben. Seither ist Bondo weit gekommen auf dem Weg zurück in die Normalität.
Publiziert: 23.08.2022 um 07:01 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2022 um 14:34 Uhr
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Bondo entging nur knapp der Zerstörung. (Archivbild)
Foto: GIAN EHRENZELLER

Der Fels löste sich am 23. August 2017 um 9.30 Uhr am 3369 Meter hohen Piz Cengalo. Mit einem Volumen von etwa 3000 Einfamilienhäusern handelte es sich um einen der grössten Bergstürze in der Schweiz seit über hundert Jahren. Acht Wandernde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden verschüttet und getötet, ihre Körper bis dato nicht gefunden.

Nach dem Bergsturz wälzten sich die Gesteinsmassen als Murgang bis in das Bergeller Haupttal, zerstörten Maiensässe und streiften den Dorfrand von Bondo. Das Zweihundert-Seelen-Dorf, das zur Talgemeinde Bregaglia gehört, wurde umgehend evakuiert.

«Wir haben gewusst, dass sich ein Felssturz ereignen könnte», sagte damals Gemeindepräsidentin Anna Giacometti gegenüber Medien. Allerdings sei man von der grossen Menge der Geröllmassen überrascht worden.

In den nächsten Tagen folgten weitere Felsabbrüche und zwei grosse Murgänge. Die Geröllmassen wälzten sich über den Fluss Maira bis auf die andere Seite des Haupttals. Einwohnerinnen und Einwohner mussten den Weiler Spino fluchtartig verlassen.

Eine Grossschreinerei wurde vom Geröll niedergewalzt. Ein Dutzend Gebäude waren zerstört, 90 weitere beschädigt, mehrheitlich leicht. Neue wie alte Kantonsstrasse waren verschüttet, der verkehrstechnische Lebensnerv des Tales durchtrennt. Zerstört waren auch die Brücke zwischen den Talseiten, Wasserleitungen und Stromversorgung. Die Schäden beliefen sich auf mehr als 40 Millionen Franken.

Das Auffangbecken für Geschiebe, das Bondo vor solchen Ereignissen schützt, war voll. «Wenn ein weiterer Murgang gekommen wäre, hätte er den Dorfkern getroffen», erinnert sich Anna Giacometti fünf Jahre später im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Das Ausbaggern des Beckens wurde zur Existenzfrage. Am Piz Cengalo bewegte sich weiterhin der Fels.

Dann wendete sich das Schicksal. Auf viel Regen während der Murgänge folgte eine Schönwetterphase. «Das schöne Wetter hat enorm geholfen, dass wir die Infrastruktur wiederherstellen und das Rückhaltebecken leeren konnten», sagt Giacometti, die mittlerweile für die FDP im Nationalrat sitzt.

Bondo erfuhr Solidarität aus der ganzen Schweiz. Einsatzkräfte der Talgemeinde und des Kantons waren vor Ort, Armee und Zivilschutz packten mit an. Privatpersonen aber auch Gemeinden aus anderen Landesteilen und verschiedene Kantone spendeten Geld. Innert dreier Monate gingen elf Millionen Franken Spenden ein. «Wir waren nie allein», berichtet Giacometti.

Anderthalb Monate nach dem letzten Murgang konnte ein grosser Teil der 150 Evakuierten wieder in die Häuser zurückkehren. Nochmals einen Monat später war Bondo wieder vollständig bewohnt, Infrastruktur und Schutzbauten waren wieder hergestellt und provisorisch verstärkt.

Es blieb die Angst vor erneuten Murgängen. «Wenn es nachts donnerte, kamen manche ältere alleinstehende Dorfbewohner in einem Haus zusammen, um nicht allein zu sein», erinnert sich die ehemalige Gemeindepräsidentin. Bei ihr sei das Sicherheitsgefühl erst nach zwei Sommern ohne Murgang zurückgekommen. Sicherheit gegeben habe auch die Installation einer permanenten Felsmessung am Piz Cengalo.

Weil die Gefahr von Bergstürzen und Murgängen bestehen blieb, beschloss die Gemeinde für 42 Millionen Franken grössere Schutzbauten zu errichten und neue Brücken. Mittlerweile wird gebaut. Für die «behutsame Einpassung der Schutzbauten in die historische Kulturlandschaft» wurde das Wiederaufbauprojekt vom Bund für den Landschaftspreis des Europarates nominiert.

«Die Leute in Bondo sind alle sehr glücklich, dass es die Gemeinde zusammen mit dem Kanton geschafft hat, die Situation zu bewältigen und das finale Projekt auf die Beine zu stellen», berichtet Giacometti. Der Lärm und Staub der Bauarbeiten erinnerten zwar noch an den Bergsturz, aber Angst herrsche fast keine mehr.

«Bondo ist zu 80, 90 Prozent in der Normalität zurück.» Man dürfe aber nie vergessen, dass Menschen starben und andere alles Hab und Gut verloren, betont die Nationalrätin.

Die Frage nach einer Mitschuld der Behörden am Tod der Wandernden beschäftigt nach wie vor die Justiz. Angehörige der Opfer erwirkten vor Bundesgericht die Wiederaufnahme der eingestellten Strafunteruntersuchung. Sie sind der Ansicht, dass es angesichts der bekannten Felssturzgefahr falsch war, die Wanderwege im Val Bondasca offenzuhalten.

(SDA)

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