BLICK besuchte Elias, Renate und Franz auf der Alp Surgonda am Julierpass GR
Die guten Hirten aus dem Südtirol

Auf der Alp Surgonda am Julierpass arbeiten ausschliesslich Südtiroler. Das ist keine Seltenheit. Gutes Alp-Personal ist in der Schweiz Mangelware, die Bauern müssen deshalb auf Ausländer zurückgreifen.
Publiziert: 01.07.2017 um 21:05 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:15 Uhr
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Auf der Alp Surgonda GR beim Julierpass haben die Südtiroler Elias Mair (20, links), Renate (58) und Franz Stuefer (62) das Sagen.
Foto: DANIEL KELLENBERGER
Anian Heierli

Gutes Alp-Personal ist Mangelware. Viele Neulinge schmeissen den Job gleich wieder hin, weil ihnen die Arbeit zu anstrengend ist. In der Schweiz finden Alpwirtschaftsbetriebe deshalb nicht genug Personal. So sind sie auf Arbeitskräfte aus Deutschland, Italien, Österreich, Polen und Slowenien angewiesen.

Besonders extrem ist die Situation im Kanton Graubünden. Hier ist fast jeder zweite Älpler ein Ausländer – von rund 1000 Beschäftigten zahlen 475 Personen Quellensteuer! Die meisten kommen aus dem Südtirol. Wie Franz (62) und Renate Stuefer (58) aus Tramin (I). Das Ehepaar bewirtschaftet die Alp Surgonda in Bivio GR am Julierpass seit 26 Jahren.

Früher kamen sie mit der ganzen Familie, denn im Südtirol dauerten die Schulferien im Sommer drei Monate – genauso lange wie ein kompletter Alpsommer. Seit die Kinder aus dem Haus sind, hilft ihnen Elias Mair (20) aus Kaltern (I).

Knochenjob für 3000 Franken netto

Franz macht keinen Hehl daraus, weshalb er in die Schweiz kommt: «Die Bezahlung ist besser. Und daheim im Südtirol sind fast alle Alpen besetzt.» Der pensionierte Forstarbeiter ist von Mitte Juni bis Ende September auf Surgonda. Er verdient im Monat rund 3000 Franken netto. Dafür arbeitet er hart. Der Hirt steht um halb sechs auf, melkt seine beiden Milchkühe für den Zmorge und macht sich auf den Weg zur Herde.

Seit letzter Woche sind 328 Rinder und Kälber auf der Alp. Das sogenannte Galtvieh ist zu jung für die Milchproduktion, weshalb auf der Alp kein Käse hergestellt wird.

Hirt Franz ist für die Sicherheit der Herde zuständig: «Ich schaue, dass nichts passiert.» Dafür wandert er sechs Stunden am Tag – immer allein. Sein Arbeitskollege Elias geht jeweils in die andere Richtung. Währenddessen kümmert sich Renate um das Vieh bei der Hütte und den Haushalt. Freie Wochenenden haben die drei nicht. In Notfällen müssen sie sogar nachts raus.

«Unser ältester Sohn kam am Pass unters Auto»

Etwa wenn ein Rind frühzeitig kalbert, ein Tier sich verletzt oder Vieh auf die Passstrasse läuft. «Die ist gefährlich», sagt Franz. «Auto- und Töfffahrer, die sich nicht im Griff haben, sind ein grosses Problem. Einige rasen halt schon wie die Spinner.» Zwei Mal wurde bereits Vieh angefahren. Vor Jahren kam sogar sein ältester Sohn am Julierpass unters Auto. Seine Miene verfinstert sich: «Zum Glück wurde er nur leicht verletzt.»

Risiken birgt auch das Wetter auf über 2000 Meter Höhe. «Es schlägt schnell um», sagt Hirt Elias. «Es kann sogar im Sommer schneien.» Kollege Franz fällt ihm ins Wort: «Früher war es schlimmer. Der Klimawandel spielt uns in die Karten.» In den letzten Jahren gab es keine grösseren Schneefälle. Für die Hirten ist das ein Segen. Nicht weil die Kühe in der Kälte leiden, aber die Absturzgefahr nimmt zu.

Die beiden betreten nach dem Mittag hungrig die Hütte. Renate serviert stolz ihre Speckknödel, eine Südtiroler Spezialität aus trockenem Weissbrot. Am Abend gibt es Milchmus, ein einfacher Brei. Die drei versorgen sich zu einem guten Teil selbst. Neben ihren beiden Milchkühen halten sie Hühner.

Erst seit kurzem Internet

Nicht nur die Kost, auch das Leben hier oben ist einfach. Internet gibt es erst seit kurzem – es reicht gerade fürs E-Mail-Schreiben. «Wir lesen, spielen Karten und Dart», sagt Renate.

Wegen der vielen Arbeit wird es ohnehin nie langweilig. «Ich wünsche mir, dass ich Ende Sommer alle Tiere gesund runterbringe», sagt Franz. Das hofft auch Michael Spörri (30) aus Tomils GR, der sein Vieh zusammen mit 15 anderen Bauern auf Surgonda hat. Er ist zuversichtlich: «Franz kennt die Berge am Julierpass besser als die meisten Bündner. Bei ihm ist mein Vieh sicher.»

«Es mangelt an Durchhaltewillen»

BLICK: Weshalb sind so viele Ausländer auf unseren Alpen?
Jörg Beck: Unsere Alpwirtschaftsbetriebe können den Bedarf an saisonalen Arbeitskräften aus dem Inland nicht decken. Alp-Personal aus den umliegenden Nachbarländern sowie Polen, Tschechien oder Slowenien kommt zuverlässig und macht einen super Job.

Warum sind Bündner Alpen bei Südtirolern derart beliebt?
Die geografische Nähe ist wahrscheinlich der wichtigste Grund. Bündner Alpen werden seit jeher mit Hilfe von Auswärtigen bewirtschaftet. Diese Leute kommen zum Teil über Jahrzehnte.

Was macht einen guten Älpler aus?
Ein guter Älpler schaut gut zu den Tieren, den Mitarbeitern und zu sich selber. Es braucht ein grosses Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein – vor alllem gegenüber den anvertrauten Tieren. Ebenso wichtig sind Ausdauer und eine hohe Frustrationstoleranz. Es braucht zudem Leute, die im nächsten Jahr wiederkommen. Denn Erfahrung ist Gold wert.

Hat man Mühe, die Alpen zu besetzen?
Ein guter Gradmesser sind die Sennen- und Alpkurse an landwirtschaftlichen Schulen. In den letzten Jahren waren diese sehr gut besucht. An Willigen mangelt es oft nicht, dafür eher an Durchhaltewillen. Es ist wie überall: Gutes Personal ist immer gesucht. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Alpen?
Der Nachwuchs wird uns nicht so schnell ausgehen. Gearbeitet werden muss allerdings an der Vereinheitlichung von Arbeitsverträgen, Sozialleistungen und der Ferienregelung. So kann gewährleistet werden, dass gutes Personal auch bleibt.

BLICK: Weshalb sind so viele Ausländer auf unseren Alpen?
Jörg Beck: Unsere Alpwirtschaftsbetriebe können den Bedarf an saisonalen Arbeitskräften aus dem Inland nicht decken. Alp-Personal aus den umliegenden Nachbarländern sowie Polen, Tschechien oder Slowenien kommt zuverlässig und macht einen super Job.

Warum sind Bündner Alpen bei Südtirolern derart beliebt?
Die geografische Nähe ist wahrscheinlich der wichtigste Grund. Bündner Alpen werden seit jeher mit Hilfe von Auswärtigen bewirtschaftet. Diese Leute kommen zum Teil über Jahrzehnte.

Was macht einen guten Älpler aus?
Ein guter Älpler schaut gut zu den Tieren, den Mitarbeitern und zu sich selber. Es braucht ein grosses Pflicht- und Verantwortungsbewusstsein – vor alllem gegenüber den anvertrauten Tieren. Ebenso wichtig sind Ausdauer und eine hohe Frustrationstoleranz. Es braucht zudem Leute, die im nächsten Jahr wiederkommen. Denn Erfahrung ist Gold wert.

Hat man Mühe, die Alpen zu besetzen?
Ein guter Gradmesser sind die Sennen- und Alpkurse an landwirtschaftlichen Schulen. In den letzten Jahren waren diese sehr gut besucht. An Willigen mangelt es oft nicht, dafür eher an Durchhaltewillen. Es ist wie überall: Gutes Personal ist immer gesucht. 

Wie sehen Sie die Zukunft der Schweizer Alpen?
Der Nachwuchs wird uns nicht so schnell ausgehen. Gearbeitet werden muss allerdings an der Vereinheitlichung von Arbeitsverträgen, Sozialleistungen und der Ferienregelung. So kann gewährleistet werden, dass gutes Personal auch bleibt.

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