Am Mittwochmorgen attackierte der 52-jährige Martin B.* bei einer Bushaltestelle mitten im Dorf Samnaun GR ein Kind. Die Kantonspolizei Graubünden schreibt: «Der Mann begab sich gegen 07.30 zur Bushaltestelle. Dort griff er ein Kind mit einem unbekannten Gegenstand an und verletzte dieses am Kopf.» Bei dem Opfer handelt es sich um den 10-jährigen Simon H.*
«Bei der Tatwaffe handelt es sich um ein Werkzeug», sagt Markus Walser, Sprecher der Kantonspolizei Graubünden. Dieses wurde von den Beamten sichergestellt. Mehr Informationen kann die Polizei aktuell nicht bekanntgeben. Anwohner sagen gegenüber Blick: «Es war ein Beil oder ein Hammer.» Blick weiss: Höchstwahrscheinlich handelt es sich bei der Angriffswaffe um ein sogenanntes Gipserbeil. Von vorne sieht dieses aus wie ein Hammer, von hinten wie ein Beil.
Täter bedrohte Bruder mit dem Tod
Danach sei der Mann nach Hause gegangen, habe den Notruf gewählt und die Tat gestanden. «Das schwer verletzte Kind wurde durch Privatpersonen in eine Arztpraxis gebracht», so die Polizeimitteilung. Die Rega habe den Buben ins Kantonsspital Graubünden in Chur geflogen. «Einsatzkräfte der Kantonspolizei Graubünden konnten den mutmasslichen Täter um 11.30 Uhr ohne Widerstand verhaften», schreibt die Polizei. Gegenüber Blick bestätigt die Kantonspolizei Graubünden, dass für den Mann Untersuchungshaft beantragt wurde.
Blick erreicht den Bruder des Täters, Felix B.* (51). Der Mann wohnt im Kanton Zürich. Er sagt zur Tat: «Mir wurde das heute Morgen am Telefon gesagt.» Felix B. hofft, dass es dem Kind schnell besser geht. Er sagt aber auch: «Ich hatte es in den letzten paar Wochen im Urin – irgendwas war da im Busch.» Zu seinem Bruder habe er seit sieben oder acht Jahren keinen Kontakt mehr. «Er hat mir und meiner Frau gegenüber üble Drohungen ausgesprochen.»
«Was mit diesem Löli geschieht, ist mir egal»
Er habe seinen Bruder bereits 2017 bei der Kesb im Engadin gemeldet, weil er diesen immer mehr als Gefahr für sich und andere sah. Passiert sei aber nie etwas. Allgemein beschreibt er seinen Bruder als sehr zurückgezogen, schon fast ein Einsiedler. «Nach dem Tod unserer Mutter kam das Erbe, dann hat er aufgehört zu arbeiten. Er spielte den ganzen Tag nur Videospiele und Online-Poker.»
Dabei sei sein Bruder früher ein netter Mensch gewesen. «Er war zugänglich, freundlich und angenehm. Bis zum Tod unserer Mutter.» Felix B. spricht ungern über seinen Bruder, hat nichts Positives mehr über ihn zu erzählen. «Er hat in den letzten Jahren dort oben das halbe Tal angezeigt – wegen Nichtigkeiten. Er fühlte sich bedroht oder was auch immer.»
Ausserdem habe der mutmassliche Täter, Martin B., ein «massives Alkoholproblem», erzählt der Bruder. «Das habe ich ihm auch einmal gesagt.» Einmal sei Martin B. derart betrunken gewesen, dass er vom Balkon gefallen sei. Bruder Felix B. hält fast nichts mehr von seinem eigen Fleisch und Blut: «Mein Leben geht weiter, das Leben des Kindes geht hoffentlich weiter. Was mit diesem Löli geschieht, ist mir ehrlich gesagt egal.»
«In Samnaun ist die Welt noch in Ordnung – bis heute Morgen»
Die Verhaftung haben mehrere Zeugen hautnah miterlebt. «Das Polizeiaufgebot war riesig», sagt Alex M.* aus dem Kanton Bern. Er ist mit einem Freund in den Ferien und hat den Einsatz der Beamten mitverfolgt. Es seien mindestens vier Polizeiautos da gewesen. Die Polizisten seien teils schwer bewaffnet gewesen: «Einer trug sogar ein Maschinengewehr.» Dann haben sie den Mann rausgebracht. «Interessant war: sie haben auch mehrere PCs und Festplatten aus der Wohnung getragen», erzählt Alex M.
Das sei kein aussergewöhnlicher Vorgang, sagt Markus Walser, Sprecher der Kantonspolizei Graubünden: «PCs und Festplatten sicherstellen, ist heutzutage normal. Früher nahm man Tagebücher mit.» Ebenso bestätigt er gegenüber Blick, dass am Mittwochmorgen mehrere Sonderkommandos per Helikopter nach Samnaun geflogen wurden. «Bei solchen Einsätzen fährt man alles hoch – bei Bedarf kann man später wieder zurückfahren.»
Die einheimischen Samnaunerinnen und Samnauner sind schockiert über die Tat und die Festnahme von Martin B. Ein Mitarbeiter eines Hotels sagt gegenüber Blick: «In Samnaun ist die Welt noch in Ordnung. Das dachten wir immer. Bis heute Morgen.» Viele Einheimische hätten nie gedacht, dass sich so etwas einmal hier, direkt vor der Haustüre abspielen könnte. «Wir haben schon ein bisschen Angst.»
* Namen geändert