Grund für den Absturz der Ju-Air ist noch immer unklar
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Ein Jahr nach der Tragödie:Grund für Absturz der Ju-Air noch immer unklar

1 Jahr nach Tragödie am Piz Segnas – Abklärungen dauern bis Februar 2020
Was verraten die 40 Handys, Kameras und Speicherkarten der Opfer Neues?

Beim Flugzeugabsturz der Ju-52 am Piz Segnas kamen am 4. August 2018 20 Menschen ums Leben. Ein Jahr später dauern die Ermittlungen noch immer an. Jetzt hat die Sust einen Statusbericht zu den Untersuchungen veröffentlicht.
Publiziert: 02.08.2019 um 10:29 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2019 um 12:57 Uhr
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Insgesamt 20 Menschen kommen beim Flugzeugabsturz der Ju-52 am Piz Segnas am 4. August 2018 ums Leben.
Foto: AFP
Dominique Rais
Dominique RaisNews-Redaktorin

Die Tragödie rund um den Flugzeugabsturz der «Tante Ju» am Piz Segnas vor einem Jahr hat die Schweiz geschockt und weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Junkers Ju-52 HB-HOT ist am 4. August 2018 auf dem Rückflug von Locarno TI nach Dübendorf ZH. Auf halbem Weg kommt es im Unesco-Weltnaturerbe-Gebiet Sardona in den Bündner Bergen zur Katastrophe.

Die Oldtimer-Maschine kracht um 16.56 Uhr mit hoher Geschwindigkeit, fast senkrecht auf den Boden des Talkessels – rund 500 Meter vom Martinsloch entfernt. Die 17 Passagiere, die beiden Piloten Ruedi J.* (†62) und Peter M.* (†63) sowie Flugbegleiterin Yvonne B.* (†66) haben keine Chance. Alle 20 Menschen an Bord kommen beim Absturz ums Leben.

Nur eine Stunde nach dem tragischen Unglück nahm die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) damals zusammen mit der Kantonspolizei Graubünden die Ermittlungen auf. Bereits im Zuge des Zwischenberichts vom vergangenen November konnte ein technischer Defekt, der zur Tragödie führte, ausgeschlossen werden. Ein Jahr später dauern die Untersuchungen zur Absturzursache allerdings immer noch an. Zwei Tage vor dem Jahrestag hat die Sust jetzt einen Statusbericht veröffentlicht.

Rekonstruktion des Unfalls dauert immer noch an

Ein fehlender Flugdatenschreiber erschwert die Sust-Ermittlungen zur Absturzursache. «Das verunfallte Flugzeug verfügte über keinerlei unfallresistente Aufzeichnungsgeräte, so dass insbesondere der Flugverlauf einzig über externe Quellen rekonstruiert werden musste. Dies verlangte aufwendige und zeitintensive Untersuchungsmethoden», sagt Sust-Untersuchungsleiter Daniel Knecht auf Anfrage von BLICK.

«Die Abklärungen, die zur Rekonstruktion des eigentlichen Flugweges und des Unfallherganges dienen, wurden umgehend begonnen und dauern immer noch an», schreibt die Sust in ihrem Zwischenbericht vom 2. August 2019. Parallel dazu wurde die Untersuchung systemischer Aspekte mit hoher Priorität vorangetrieben. Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades der HB-HOT gestaltete sich die technische Untersuchung ebenfalls aufwendig.

Über 40 Handys und Digitalkameras werden untersucht

Es wurden gesamthaft über 40 Mobiltelefone, Digitalkameras, Speicherkarten und andere Komponenten mit allfälligen Datenspeichern an der Unfallstelle sichergestellt. Die meisten der gefundenen Elektronikkomponenten waren stark beschädigt und konnten nicht direkt ausgelesen werden, wie es weiter heisst. Bei einigen der beschädigten Komponenten gelang es durch aufwendige Verfahren, Bild- und Tonaufnahmen des Unfallfluges und des Fluges am Vortag zu gewinnen.

Zudem wurden die Radardaten von 218 Flügen mit Ju-52-Flugzeugen der Ju-Air, die zwischen April 2018 und August 2018 stattfanden, sichergestellt. Diese Radarspuren sollen helfen die Flugtaktik zu analysieren.

Auch der menschliche Faktor spielt bei der Klärung der Katastrophe eine wichtige Rolle. Doch weil keine Aufzeichnungen eines Cockpit Voice Recorders vorliegen, kann die Zusammenarbeit der beiden Piloten während des Unfallfluges nur basierend auf allgemeinen Merkmalen der beiden Personen analysiert werden, heisst es im Bericht weiter. Aus diesem Grund wird die Vorgeschichte der Besatzung rekonstruiert, wobei diesbezüglich auch Angaben aus früheren Tätigkeitsgebieten genutzt werden. Daneben wird wie üblich eine Abklärung der unmittelbaren Vorgeschichte, der Flugvorbereitung und des Gesundheitszustandes der Besatzung vorgenommen.

3D-Scan des ganzen Tals südwestlich des Piz Segnas

Die Untersuchungen im Fall der Tante Ju stellen eine besonders grosse Herausforderung dar. «Das ganze Tal südwestlich des Piz Segnas musste durch ein dreidimensionales Scan-Verfahren aufgenommen und mit dem topografischen Modell der Schweiz kombiniert werden», so Knecht. Das ermöglicht es der Sust die Aufnahmen von Augenzeugen auszuwerten, um so Flugweg und Fluglage des Unglücksflugzeugs zu eruieren.

Bei der Klärung des Absturzes sind nebst Beobachtungen somit auch Bilder, Video-Aufnahmen sowie Flugwegaufzeichnungen durch private GPS-Geräte von grossem Wert, wie Knecht erklärt. Über 200 Beiträge hat die Sust erhalten. «Sie tragen wesentlich dazu bei, dass der Unfall erklärt und zielgerichtet Lehren zur Verbesserung der Sicherheit gezogen werden können», sagt Untersuchungsleiter.

Bisherige Untersuchungen kosteten 1,7 Millionen Franken

«Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, so dass die in der Zwischenzeit gewonnenen Erkenntnisse noch nicht definitiv sind. Aus diesem Grund verzichten wir im Statusbericht auf eine Veröffentlichung von Teilergebnissen», sagt Knecht. Vorerst bleibt die tatsächliche Absturzursache noch ungeklärt. Doch: Aviatik-Experten gehen seit geraumer Zeit davon aus, dass ein Strömungsabriss zum Absturz geführt hat.

Insgesamt 4,5 Millionen Franken wurden für die Untersuchungen budgetiert. Bis anhin belaufen sich die Ausgaben auf rund 1,45 Millionen Franken. Nicht darin enthalten ist der Eigenaufwand der Sust wie etwa Einsatz von Mitarbeitern und Auswertungen durch das eigene Labor. Dies wird über das ordentliche Budget des Untersuchungsdienstes abgerechnet. Im Zusammenhang mit in Auftrag gegebenen und bereits durchgeführten Untersuchungshandlungen sind noch Rechnungen mit einem Gesamtbetrag von rund 250'000 Franken ausstehend.

Verzögerung von bis zu zwei Monaten bei Schlussbericht?

«Wir können zwar nicht ausschliessen, dass im weiteren Verlauf der Untersuchungen noch erhebliche, momentan nicht absehbare Kosten anfallen werden, etwa für zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbare ergänzende Nachweise», sagt Knecht. Dennoch sollte laut Sust auch auf Basis vorsichtiger konservativer Schätzungen das gesetzte Budget dennoch ausreichen.

Gesetzlich vorgeschrieben müssen die Ermittlungen der Sust innert 18 Monaten abgeschlossen sein. Die Frist läuft am 4. Februar 2020 ab. «Es ist denkbar, dass es zu einer Verzögerung von ein bis zwei Monaten gegenüber den vorgeschriebenen 18 Monaten kommen wird», so Knecht. Er geht davon aus, dass der Schlussbericht im ersten Quartal des nächsten Jahres veröffentlicht werden wird.

* Namen der Redaktion bekannt

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