Naegeli hatte sich im letzten Oktober wegen Sachbeschädigung vor dem Zürcher Bezirksgericht verantworten müssen. Die Staatsanwaltschaft warf dem «Sprayer von Zürich» vor, dass 25 Graffitis - vornehmlich filigrane Strichfiguren - an verschiedenen Hauswänden und Mauern in der Zürcher Innenstadt aus seiner Hand stammen.
Das Gericht hatte jedoch kein Urteil gefällt. Die Frage, ob es sich bei Naegelis Graffitis um Sachbeschädigungen oder Kunst im öffentlichen Raum handelt, blieb ungeklärt. Der Einzelrichter riet den Parteien damals, sich aussergerichtlich zu einigen. Dies haben sie nun getan, wie Stadtrat und Künstler am Dienstag demonstrierten.
Naegeli brachte dem Vorsteher des Stadtzürcher Tiefbau- und Entsorgungsdepartements, Filippo Leutenegger (FDP), persönlich in dessen Büro ein Gemälde vorbei. «Wir haben sehr intensive Gespräche geführt und nun eine kreative Lösung gefunden», sagte Leutenegger vor den Medien.
Er werde heute noch den Einzelrichter informieren, dass die Causa Naegeli ad acta gelegt werden könne. «Die Stadt erhält ein Kunstwerk, dafür verzichten wir auf die Forderung», sagte Leutenegger weiter. Das Reinigen von Naegelis Graffitis kostete Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) rund 9000 Franken.
Naegeli selber betonte einmal mehr, dass er halt ein Utopist sei. «Ich trage die Utopie nach aussen, das ist meine Kunst.» Vor über 40 Jahren habe er die neue Kunstform Street Art eingeführt, die Kunst der Utopie. Es sei aber eben ein Unterschied, ob man diese Utopie nur im Herzen oder sie auch nach aussen trage.
Mit Leutenegger habe er nun aber zum Glück in Zürich einen Mitarbeiter der Utopie gefunden, sagte Naegeli und lachte laut. «Er hatte grosse Kämpfe in den letzten Wochen, aber wir haben uns gefunden.» Dem Werk, das der Künstler der Stadt schenkte, gab er dann auch den Namen «Utopie-Auge».
Der Einzelrichter hatte beim Prozess im vergangenen Herbst Naegelis Verteidiger den Auftrag erteilt, sich mit dem Kläger, Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ), in Verbindung zu setzen und zu verhandeln. Sehe das ERZ von einer Weiterverfolgung der Sache ab, gelte: «Wo kein Kläger, da kein Richter», hatte er argumentiert.
Leutenegger seinerseits, als oberster Chef des ERZ, bezeichnete in einer Kolumne im «Tagblatt der Stadt Zürich» Naegelis Verhalten als «bewusst anarchisches Vorgehen», das Teil seiner Kunst sei. «Die Bilder kommen ungefragt, die Besitzer der Arbeitsflächen haben nichts zu sagen.» Es sei deshalb gut, dass sie sich träfen.
Die Lösung gefalle ihm, sagte Leutenegger bei der Geschenkübergabe am Dienstag. «Das Problem nur auf dem juristischen Weg zu lösen, wäre der Sache nicht gerecht geworden.» Das viel grössere Thema sei die Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum, betonte der Stadtrat - «auch wenn meine Realitäten und Naegelis Utopien andere sind».