Die Eröffnungsfeier am Basistunnel wurde zum Fest der Superlative
Freude, Stolz und Tränen – dieser Tag bleibt unvergessen

Die gestrige Eröffnungsfeier des Basistunnels war ein Tag der Emotionen.
Publiziert: 02.06.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 03.10.2018 um 10:42 Uhr
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Ausfahrt in Erstfeld: Der erste Gotthard-Zug aus dem Süden kommt an.
Foto: LAURENT GILLIERON
Adrian Meyer (Text) und Philippe Rossier (Fotos)

Die mächtigen Tunnelbohrmaschinen drehen in Erstfeld UR und Pollegio TI nur noch in Form von Computeranimationen an der Wand. Dort, wo über 17 Jahre lang die Baumaschinen auf­fuhren, sah die Schweiz ein seltenes Aufgebot an ranghohen Staats- und Regierungschefs, Medien und geladenen Gästen. «Diese Baustelle ist fertig», sagte Bundespräsident Johann Schneider-Ammann der Welt, die für einmal gebannt auf die Schweiz und ihr «Jahrhundertwerk» blickte. Der längste Eisenbahntunnel wurde feierlich eröffnet – mit grossen Reden und grossem Tamtam.

Bevor die Festivitäten richtig begannen, schüttelte alt Bundesrat Adolf Ogi bereits unzählige Hände. Im Restaurant «Grüne Gans» des Tierparks Arth-Goldau SZ mischte sich der politische Vater der Neat unter das Volk. Und zwar unter jene Schweizer, die das Glück hatten, eines der rund 1000 Tickets für die Eröffnungszüge zu ergattern. Mehr als 160'000 Schweizer hatten sich beworben.

Busen, Bohrer, Bundesräte 

«Ihr seid die Ersten, die bei diesem Weltereignis durch den Tunnel fahren», sagte Ogi zu den Gewinnern. «Vor dem Bundesrat, vor Monsieur Hollande, vor Frau Merkel und vor Signore Renzi.» Ogi stand gestern neben all den Weltpolitikern zwar nicht im Mittelpunkt, aber es war natürlich sein Tag. «C’est formidable!» rief er im berühmten «accent fédéral». Und sagte mit ausgebreiteten Armen: «Ogi dit: bravo les Suisses!» Sein Publikum amüsierte sich prächtig und spendete tosenden Applaus.

Wer mit den Passagieren des Eröffnungszugs sprach, spürte die Bewunderung, den Stolz für dieses Bauwerk. Ruedi Wüst (69) aus Lufingen ZH etwa spielte spontan auf seinem Taschen-Kornett ein Freudenständchen. «Ogi hat mir die Hand geschüttelt, das bedeutet mir sehr viel», sagte er. «Dieser Tunnel hat europäisches Format.»

Die ersten Passagiere schwärmen von der Jungfernfahrt

Für eine der jüngsten Gewinnerinnen der Eröffnungsfahrt, die 3,5-jährige Imelda Eschenberg, bedeutet der Tunnel vor allem Abenteuer: «In der Dunkelheit kann sie träumen und Geschichten ausdenken», sagt ihre Mutter Cany Dominguez ­Ortiz (33) aus Stalden VS. «Darum ist sie total der Tunnelfan.»

Und Nicole Schwaar (47) und Denis Boegli (54) aus Tramelan BE posierten strahlend für ein Foto mit Ogi. Sie freuten sich, diese historische Fahrt im Tunnel als Allererste zu erleben. «Das werden wir noch unseren Enkeln erzählen.»

Während in Arth-Goldau die Menschen in den Eröffnungszug aus dem Norden stiegen, trafen auf dem Festplatz Rynächt bei Erstfeld die geladenen Gäste ein. Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm, 2000 Armeeangehörige standen im Einsatz, die Hauptstrasse sowie der Luftraum waren gesperrt.

Ohne Badge kein Durchkommen

Sogar für einige Medien gab es kein Durchkommen. Ein Extra-Bus aus Bern mit Journalisten an Bord wurde von der Polizei nicht zum Festgelände durchgelassen – weil sie keinen Badge vorweisen konnten. Jene Badges aber lagen hinter der Absperrung bereit. Nach einigem Hin und Her liess man den Bus dann doch durch.

Dann, in der kahlen «Betonhalle» auf dem ehemaligen Installationsplatz Erstfeld, begannen die grossen Gesten. Bundespräsident Johann Schneider-Ammann begrüsste die Gäste beim Nordportal, Verkehrsministerin Doris Leuthard jene im Süden. Per Live-Schaltung wechselten sich beide ab. Schneider-Ammann: «Ich freue mich, dass wir uns auf diese ­Distanz unterhalten können.»

Regisseur Volker Hesse und 600 Laienschauspieler ergriffen die Anwesenden mit der Kunst-Inszenierung «Sacre del Gottardo». Was für ein Schauspiel! Derwische, Dämonen und barbusige Engel flogen durch die Halle, schwere Züge rollten unter Getrommel vorbei, geschoben von orange-gekleideten Männern und Frauen.

Leuthard kämpfte mit den Tränen

Sie schritten im Stechschritt durch die Halle, Menschen, die wie Maschinen wirkten. Der Mensch im Kampf mit dem Berg, der Alpöhi, der der Moderne Platz machen muss, ein einsamer Jodel inmitten von Beton. Und dann zum Schluss sangen sie «La Montanara«, das berühmte Lied der Berge von Komponist Toni Ortelli. Es war ein bildgewaltiges, ziemlich düsteres Spektakel, das sprachlos machte. Und viele überraschend demütig zurückliess.

Am Schluss der gut halbstündigen Show lockte das Schauspielensemble die Gäste an die Sonne. Dort, auf dem Gleis, fuhr der Eröffnungszug aus dem Süden unter Gehupe und Geklatsche an der Festgesellschaft vorbei. Man winkte, pfiff und war zufrieden.

Altgediente und aktuelle Politiker nutzten beim Apéro im Norden und später beim Tessinerplättli beim Südportal die Möglichkeit, von diesem historischen Moment zu schwärmen, von der Symbolkraft der dunklen, langen Röhre.

Verkehrsministerin Doris Leuthard kämpfte im SRF-Interview mit den Tränen. Bei Ogi herrschte – natürlich – Freude. Die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Italien, und Deutschland mussten eingestehen, ihren Teil der Arbeit noch nicht vollendet zu haben. «Das Herz ist gebaut, die Aorta fehlt», zitierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel die «NZZ». Und fügte an: «Es ist auch ein Stück deutsche Aorta.»

Bundespräsident Johann-Schneider-Ammann sagte darauf: «Mit dem Basistunnel hat die Schweiz einen Schritt zum Gedeihen unseres Europas getan.» Immer wieder wurde betont, dass der Tunnel als Verbindung zwischen Nord und Süd in Europa nicht nur Wirtschaftsräume, sondern Menschen zusammenbringt. «Früher sprach man davon, Brücken zu bauen», sagte Merkel. «Aber heute passen wir unseren Sprachgebrauch an: Ein Tunnel bringt uns näher.»

Das Lob für die Schweizer, diese Symbolik in all den Reden, sie sind ziemlich ungewohnt für die sonst so bescheidenen Schweizer.

Wohltuend unspektakulär, ja beinahe alltäglich fühlte sich schliesslich die Fahrt in ebendiesem gewal­tigen Tunnel an: Der Zug mitsamt aller Politprominenz fuhr in die Röhre ein, beschleunigte, man lehnte sich im Sitz zurück, entspannte sich. Und war dann doch irgendwie froh, nach rund 20 Minuten wieder ans Tageslicht zu kommen. So wie bei jedem Tunnel.

We love Tunnel

Wieso sind wir so fasziniert von einem Loch? Weil uns die Präzision der Ingenieure, die Ästhetik des Bauwerks, die pünktliche Vollendung Tränen des Stolzes in die Augen treiben. Auch unserer Verkehrsministerin Doris Leuthard während ihrer Ansprache. Perfektion ist sexy. Sie zeigt sich nicht an der Peripherie, sondern im Schoss der Schweiz. In ihrem Innersten, im Gotthard. Er ist für uns ein magischer Ort, nicht zum Verweilen, sondern als Versprechen von Süden, Sehnsucht, Sünde. Wir wollen freie Fahrt bis zum Mittelmeer.

Wir spüren alle die seit Jahrhunderten drängende historische Mission, dieses mythische Massiv zu durchlöchern, die Nord-Süd-Weltachse zu knacken. Jetzt sogar an der Basis des Gotthards. Unsere Ingenieure haben mit der Flachbahn die Ideallinie gefunden. Geradliniger gehts nicht mehr durch den Berg. Die Mission ist erfüllt. Wir teilen dieses intime Glück der Tunneleröffnung mit ganz Europa. Und sind so grosszügig, den Deutschen und Italienern sogar die Zubringer zu diesem Jahrtausendbauwerk mitzufinanzieren. Das Ausland ist so grosszügig, uns mit Lob zu überschütten. Für unsere Professionalität, für die Ingenieurskunst und Weitsicht.

Wir nehmen auch den viel bemühten Vergleich mit dem Uhrwerk gerührt hin. Und staunen angesichts dieser paneuropäischen Verbrüderung und Angela Merkels Lob («Wunderwerk der Technik») über das zumindest indirekt angedeutete Unvermögen, selbst Grossbauprojekte durchzuziehen. Etwas einen Flughafen. Unsere Tunnelplaner brächten sicher auch dieses Projekt zum Fliegen. Man müsste sie nur fragen. Aber klar ist es schwierig, unsere Emotionen für ein Loch, das während 57 Kilometern gleich aussieht, rational zu erklären. Eigentlich geht das nicht, man muss es spüren.

BLICK-Chefredaktor Peter Röthlisberger.
BLICK-Chefredaktor Peter Röthlisberger.
BLICK

Wieso sind wir so fasziniert von einem Loch? Weil uns die Präzision der Ingenieure, die Ästhetik des Bauwerks, die pünktliche Vollendung Tränen des Stolzes in die Augen treiben. Auch unserer Verkehrsministerin Doris Leuthard während ihrer Ansprache. Perfektion ist sexy. Sie zeigt sich nicht an der Peripherie, sondern im Schoss der Schweiz. In ihrem Innersten, im Gotthard. Er ist für uns ein magischer Ort, nicht zum Verweilen, sondern als Versprechen von Süden, Sehnsucht, Sünde. Wir wollen freie Fahrt bis zum Mittelmeer.

Wir spüren alle die seit Jahrhunderten drängende historische Mission, dieses mythische Massiv zu durchlöchern, die Nord-Süd-Weltachse zu knacken. Jetzt sogar an der Basis des Gotthards. Unsere Ingenieure haben mit der Flachbahn die Ideallinie gefunden. Geradliniger gehts nicht mehr durch den Berg. Die Mission ist erfüllt. Wir teilen dieses intime Glück der Tunneleröffnung mit ganz Europa. Und sind so grosszügig, den Deutschen und Italienern sogar die Zubringer zu diesem Jahrtausendbauwerk mitzufinanzieren. Das Ausland ist so grosszügig, uns mit Lob zu überschütten. Für unsere Professionalität, für die Ingenieurskunst und Weitsicht.

Wir nehmen auch den viel bemühten Vergleich mit dem Uhrwerk gerührt hin. Und staunen angesichts dieser paneuropäischen Verbrüderung und Angela Merkels Lob («Wunderwerk der Technik») über das zumindest indirekt angedeutete Unvermögen, selbst Grossbauprojekte durchzuziehen. Etwas einen Flughafen. Unsere Tunnelplaner brächten sicher auch dieses Projekt zum Fliegen. Man müsste sie nur fragen. Aber klar ist es schwierig, unsere Emotionen für ein Loch, das während 57 Kilometern gleich aussieht, rational zu erklären. Eigentlich geht das nicht, man muss es spüren.

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