Gerichts-Psychiater Josef Sachs geht in Pension
«Die wenigsten Täter bereuen ihre Tat»

Mehrere Tausend Gutachten hat der Forensiker Josef Sachs (66) in seiner Laufbahn in der Psychiatischen Klinik Königsfelden schon geschrieben. Heute wird er pensioniert.
Publiziert: 31.08.2015 um 16:05 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 09:34 Uhr
Mit menschlichen Abgründen vertraut: Chefarzt Josef Sachs in seinem Arbeitszimmer in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden. (Archiv)
Foto: BLICK

Drogendelikte, Betrug, Kindmissbrauch und Mord: Es gibt wohl kaum ein Verbrechen, mit dem sich Josef Sachs (67) nicht schon auseinandergesetzt hätte. Jetzt geht der Chefarzt der Psychiatrischen Klinik Königsfelden in den Ruhestand. Wenn er von einem brutalen Gewaltdelikt höre, sei er auch heute noch erschüttert wie am ersten Tag, sagt der Forensiker der «Aargauer Zeitung». Er habe aber gelernt, schnell Ablauf und Hintergrund dieser Delikte und das Motiv in den Vordergrund zu rücken und alles andere auszublenden: «Verstehen schafft Distanz.»

«Zu viel Therapie nach Giesskannen-Prinzip»

Der Anspruch an die forensische Psychiatrie sei in den letzten Jahren gestiegen und die Rückfallgefahr kleiner geworden, sagt Sachs weiter. Es werde aber noch zu viel nach dem Giesskannen-Prinzip therapiert: «Man sollte Aufwand und Know-how stärker auf Täter konzentrieren, bei denen eine Therapie auch wirklich Erfolg verspricht.»

Auch wenn ein Gutachten zum Schluss komme, dass jemand therapierbar sei, bedeute dies nicht automatisch, dass eine Therapie auch wirklich Erfolg habe. Gerade bei sehr jungen Ersttätern wie etwa dem jungen Mann, der das 16-jährige Au-pair-Mädchen Lucie bestialisch ermordete, sei eine Voraussage schwierig. Der Täter, Daniel H., war als therapierbar eingestuft worden.

Überhaupt sei eine Prognose über einen Täter nie eine hunderprozentige Vorhersage: «Wenn Sie erreichen wollen, dass nie jemand rückfällig wird, müssten Sie jeden Ersttäter lebenslänglich einsperren.» Dann hätten wir die Gefängnisse voll und trotzdem würde die Kriminalität nicht sinken: «Weil es immer neue Ersttäter gibt.»

Kaum Reue

Nur wenige Täter würden ihre Tat bereuen, sagt Sachs weiter. «Die meisten bereuen vor allem, dass sie ihr eigenes Leben zerstört haben und verhaftet wurden.» Einmal habe er mit einem Täter zu tun gehabt, der eine Frau brutal niedergestochen hatte. Er hatte am Tatort einen Zigarettenstummel weggeworfen und war schliesslich dank einer DNA-Analyse überführt worden: «Er bereute vor allem, dass er nicht an die Möglichkeit einer DNA-Analyse gedacht hatte.»

Bei der Begutachtung würden Täter oft lügen, sagt der erfahrene Gutachter: «Noch häufiger verdrehen sie Tatsachen oder unterschlagen wichtige Informationen.» Nur selten komme man ihnen direkt auf die Schliche. Ein Gutachten sei wie ein Puzzle: «Lügt einer, dann passt ein Puzzlestein nicht, dann geht etwas nicht auf.» Darum gehörten zu einer sogenannten Exploration auch Gespräche mit Kollgen, Eltern und Arbeitgebern. Sachs: «Es ist sehr schwierig, auf Dauer nicht die Wahrheit zu sagen und sich dabei nicht in Widersprüche zu verstricken.»

«Das bewegte mich stark»

Am meisten bewegt habe ihn den Fall eines 17-Jährigen, der eine Serie schwerster Gewaltdelikte begangen hatte und als nicht therapierbar galt. Nach eine paar Monaten Gefängnis habe er den jungen Mann wie einen umgekehrten Handschuh angetroffen: «Offenbar hat der Gefängnisaufenthalt zu einem inneren Wandel geführt. Ich habe ihn Jahre später wieder gesehen: Er hatte eine Frau und Kind und eine Arbeitsstelle. Das bewegte mich stark.»

Unsicher sei er beim Dreifachmord in Wohlen gewesen, wo ein junger Mann aus der Dominikanischen Republik drei Prostituierte im wahrsten Sinne des Wortes niedergemetzelt habe: «Ich sah diese Wohnung. Es hat schrecklich ausgesehen. Der Täter konnte sich an nichts mehr erinnern.» Er habe sich gefragt, ob das die Wahrheit sei. Denn es habe keinen medizinischen Grund gegeben für die Gedächtnislücke: «Gleichzeitig gibt es Dinge, die man nicht erklären kann.»

«Erziehung ist das alles Entscheidende»

Die Erziehung sei das alles Entscheidende, ob Gewalt als etwas Abstossendes oder etwas Erstrebenswertes erlebt wird, sagt Sachs weiter: «Aber es wäre auch falsch, wenn Eltern rigide alles ablehnen würden, was irgendwie mit Gewalt zu tun hat. Was verboten ist, wird attraktiv». Wichtig seien klare Grenzen: «Eine Spielzeugwaffe auf einen Menschen zielen ist ein Tabu, weil es die Verharmlosung fördert.» (ant)

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