«Hoffen auf volle Kirchen»
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Ausländische Pfarrer:«Hoffen auf volle Kirchen»

Gerade noch sieben Schweizer lassen sich pro Jahr weihen
Schon jeder fünfte Pfarrer ist Ausländer

Kaum ein Schweizer will noch katholischer Priester werden. Deshalb importiert die Kirche Ausländer. Ein Inder und ein Pole erzählen von ihrer heiligen Mission in der Schweiz.
Publiziert: 19.04.2019 um 23:50 Uhr
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Aktualisiert: 20.04.2019 um 08:09 Uhr
  • Nur noch sieben Schweizer lassen sich jährlich zum Priester weihen
  • Je nach Region ist jeder vierte Priester Ausländer
  • Die katholische Kirche importiert Geistliche aus Indien, Osteuropa, Deutschland und Afrika
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Priester Michael D'Almeida (43) aus Indien arbeitet im Kanton Uri. Er liebt Cordon bleu und Raclette.
Foto: Anian Heierli
Anian Heierli
Anian HeierliReporter Zentralschweiz

Früher hat Michael D'Almeida (43) zwei Mal pro Tag Reis gegessen, heute schwärmt er von Cordon bleu und Raclette. Der Inder ist katholischer Priester im Kanton Uri und für die ländlichen Gemeinden Seedorf, Isenthal und Bauen zuständig. Seit fünf Jahren verkündet er in der Zentralschweiz das Wort Gottes, er segnet Alpen und klopft nach der Messe mit seinen Schäfchen einen Jass.

D'Almeida ist kein Einzelfall. Immer mehr Priester in der Schweiz sind Ausländer. Denn hierzulande kann die katholische Kirche nicht mehr genügend Pfarrer rekrutieren. Bis in die Neunzigerjahre wurden in Schweizer Bistümern jährlich um die 20 Priester geweiht, aktuell sind es keine zehn mehr. Verschärft wird die Situation dadurch, dass ältere Pfarrer sterben. Die Zahl der Neuzugänge kann die Todesfälle bei weitem nicht kompensieren.

Misstrauen wegen Sexualstraftätern

Doch weshalb wollen immer weniger Schweizer Priester werden? «Wegen des Traditionsabbruchs», sagt Urs Winter (47), Theologe und Psychologe am Schweizerischen Pastoralsoziologischen Institut (SPI) in St. Gallen. «Nur rund 15 Prozent der Schweizer Katholiken leben den Glauben im Alltag aktiv und besuchen regelmässig die Kirche.» Gemäss dem Experten haben auch klerikale Sexualstraftäter einen negativen Einfluss. «Es entsteht Misstrauen gegenüber der katholischen Kirche», sagt er.

Allgemein hält Winter fest: «Priester haben einen weniger hohen sozialen Status als früher. Heute ist man nicht mehr der Herr Pfarrer, sondern wird eher schief angesehen.» Den sozialen Druck bezeichnet er als gross. Ein Mann muss sich fürs Zölibat rechtfertigen und wird nicht für seine Enthaltsamkeit bewundert.

Sie kommen aus Osteuropa, Indien und Afrika

Also rekrutiert die Kirche Ausländer. Vorzugsweise aus Osteuropa, Indien, afrikanischen Ländern und Deutschland. Die Statistik zeigt: Seit 1992 ist der Anteil ausländischer Priester landesweit um mehr als 40 Prozent gestiegen. Im ländlichen Bistum Sitten ist die Situation mit 71 Prozent am extremsten. Je nach Region ist bereits jeder vierte Pfarrer in der Schweiz ein Ausländer.

Als der Inder D'Almeida vor sieben Jahren in die Schweiz kam, wusste er kaum etwas vom Land: «Hier habe ich das erste Mal Schnee gesehen», erinnert er sich. «Es war schön. Vor Freude wälzte ich mich darin.» Auch Deutsch verstand er nicht. Nach eineinhalb Jahren Studium hielt er dann im Kanton Uri seine ersten Messen. «Das war anfangs speziell», sagt er. Und erklärt lachend: «In Isenthal bin ich einer von drei Ausländern.»

Inländervorrang gilt für die Kirche nicht

Priester sind flächendeckend Mangelware. Der seit Juli 2018 geltende Inländervorrang in der Schweiz greift bei den Stellen darum nicht – dafür braucht es mindestens acht Prozent Arbeitslosigkeit in der Berufsgruppe. In den meisten europäischen Staaten geniesst die Kirche zudem gewisse Privilegien, die auch in die Arbeitswelt reichen. In Deutschland gibt es ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, in der Schweiz ist dies kantonal verschieden. Wichtigstes Einstellungskriterium ist dabei die kirchliche Lehrerlaubnis, die sogenannte Missio canonica. Diese müssen Priester vorweisen, Religionslehrer auch.   Fabienne Kinzelmann

Priester sind flächendeckend Mangelware. Der seit Juli 2018 geltende Inländervorrang in der Schweiz greift bei den Stellen darum nicht – dafür braucht es mindestens acht Prozent Arbeitslosigkeit in der Berufsgruppe. In den meisten europäischen Staaten geniesst die Kirche zudem gewisse Privilegien, die auch in die Arbeitswelt reichen. In Deutschland gibt es ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, in der Schweiz ist dies kantonal verschieden. Wichtigstes Einstellungskriterium ist dabei die kirchliche Lehrerlaubnis, die sogenannte Missio canonica. Diese müssen Priester vorweisen, Religionslehrer auch.   Fabienne Kinzelmann

Inder D'Almeida schwört aufs Jassen

Trotzdem akzeptierten ihn die Einheimischen schnell. «Ich bin auf sie zugegangen und sagte Grüezi», so D'Almeidas Rezept. «Auch Jassen lernte ich, was sehr geholfen hat.» Heute spielt er regelmässig und sagt von sich: «Ich bin gut darin.»

Daheim in Indien hielt er Predigten vor 800 Leuten. In Uri sind es an starken Sonntagen 70. Das stört ihn nicht: «Der Leistungsdruck ist gross», sagt er. «Ich verstehe, dass viele am Sonntag für sich entspannen möchten.» Trotzdem freut er sich über jedes neue Gesicht in der Kirche.

Wojtkewicz aus Polen schätzt die Schweizer Verlässlichkeit

Pfarrer Krzysztof Wojtkiewicz (54) aus Stettin (Polen) leitet von Marly FR aus die polnische Mission in der Schweiz. Auch er hat längst Fuss gefasst. «Es gefällt mir gut», sagt er. Vor allem die Landschaft habe es ihm angetan. «Schweizer, die ein Kirchenamt ausüben, sind sehr gewissenhaft», so Wojtkiewicz. «Dafür nehmen meine Landsleute im Allgemeinen das Geistliche wichtiger.»

Er betont aber: «Auch in der Schweiz gibt es Menschen, deren Glaube stark ist, vor allem auf dem Land.» Das erlebte der Pole, als er fünf Jahre in Heitenried FR die Messe hielt. «Die Menschen akzeptierten mich schnell», sagt er. Wichtig sei, dass man als Priester auf das Volk zugehe. 

Laut Wojtkiewicz verliert die katholische Kirche nicht nur in der Schweiz an Stellenwert. «Der Trend ist europaweit», sagt er und schätzt, dass die Erziehung eine Rolle spielt: «Zu Hause wird der Glaube immer weniger gelehrt, weshalb die Leute später nicht mehr zur Kirche gehen.»

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