Geheimnisvolle Kräfte und ein Gerichtsverfahren
Millionenzoff um Aargauer Kult-Heilerin

Der Streit um eine Erbschaft überschattet das Vermächtnis der spirituellen Künstlerin Emma Kunz. Es geht um ein uneheliches Kind und ein menschenrechtswidriges Gesetz.
Publiziert: 31.01.2021 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 14.10.2021 um 12:47 Uhr
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Emma Kunz (1892 - 1963) verstand sich als Heilerin und ist heute in Kunstkreisen hoch im Kurs.
Foto: Emma Kunz Stiftung
Reza Rafi

Ein fünfjähriger Bub leidet an Kinderlähmung. Worauf sein Vater zu einem aussergewöhnlichen Mittel greift. Er sucht jene rätselhafte Nachbarin auf, von der man im Dorf sagt, dass sie Energien ­spüren könne. Sie behandelt den kleinen Patienten mit fein geriebenem Muschelkalk aus einer nahen Grotte, dem römischen Steinbruch, in dem sich die Heilerin gerne aufhält. Dann geschieht Wundersames: Der Knirps kann plötzlich gehen.

Diese Geschichte ereignete sich 1943 im aargauischen Würenlos. Sie markiert den Beginn des Weltruhms jener Frau, die dem Jungen auf die Beine half: der Spiritualistin und Künstlerin Emma Kunz (1892–1963). Der Bub, Anton C. Meier (1936–2017), bleibt ihr schicksalhaft verbunden, widmet sich ihrem Nachlass, erwirbt das Areal um den Steinbruch und ihre Bilder, rund 400 charakteristische Pendelzeichnungen. 1986 gründet er das Emma Kunz Zentrum.

Emma-Kunz-Universum im Limmattal

Museum und Grotte werden bald zum Mekka für Sinnsuchende und Esoteriker aus aller Welt; das Steinpulver macht unter den Namen Aion A als Alternativmedikament Furore.

Als Meier 2017 stirbt, hinterlässt er das Emma-Kunz-Universum im Limmattal seinen beiden Kindern: die Steinwerke, das Grundstück – das wie durch Geisterhand eines Tages plötzlich in der Sonderzone stand – die Heilprodukte-Firma sowie die Stiftung mit den Mandala­artigen Bildern.

Ein anderer aber geht leer aus: Michael Gandola, ein weiteres Kind Meiers. Der zeugte den unehelichen Sohn 1958 mit seiner italienischstämmigen Jugendliebe. Die Eltern verboten Meier die Heirat und zwangen ihn, Mutter und Kind zu verlassen.

Nachwuchs aus heimlichen Liebschaften, erst recht mit Migrantinnen aus dem Süden, war damals ein Kavaliersdelikt, eine kleine Sünde, die sich mit einem gesetz­lichen Konstrukt unkompliziert regeln liess: Durch die sogenannte Zahlvaterschaft willigte der Mann ein, dem Kind – im Mittelalter noch Bastard genannt – den Unterhalt zu finanzieren. Im Gegenzug blieb dieses erbunfähig – eine ­juristisch legitimierte Diskriminierung alleinerziehender Frauen und derer Kinder.

Die Zahlvaterschaft wurde erst 1978 mit Einführung des neuen Kindesrechts abgeschafft, vier Jahre, nachdem die Schweiz die Europäische Menschenrechtskonven­tion (EMRK) ratifiziert hatte.

Kunstwerke weiterhin öffentlich zugänglich

Der heute 63-jährige Gandola kämpft auf dem Rechtsweg um den Pflichtteil, der ihm in seinen Augen zusteht. Um der Diskriminierung ein Ende zu setzen, sagt er. Das Erlebnis der Ausgrenzung sei zu schmerzhaft gewesen.

In der Zwischenzeit veräusserten seine Halbgeschwister ihr Erbe. Mithilfe eines Geldgebers im Hintergrund sprang Kunstanwalt An­dreas Ritter ein – um das Vermächtnis von Emma Kunz und deren Werk in eine gesicherte Zukunft zu führen, wie er auf Anfrage betont. Dafür habe er sich lange Jahre ein­gesetzt und sei nun sehr froh, dass es gelang, die Kunstwerke zusammenzuhalten, sie auch weiterhin öffentlich zugänglich zu machen.

Ritter ist in Kunstkreisen bestens vernetzt («hartnäckig ein Ziel verfolgen» könne er gut, zitiert ihn die «NZZ am Sonntag»). Er sitzt in der Anton-C.-Meier-Stiftung, die Meier noch in seinem Testament kurz vor seinem Tod veranlasste – und die mittlerweile zur Emma Kunz Stiftung umbenannt worden ist.

Gandolas Halbgeschwister verzichteten im Erbvertrag auf ihren Pflichtteil zugunsten der Stiftung. Wie viel die beiden für Firma, Grundstück und Stiftung samt etwa 400 Bildern bekamen, ist nicht bekannt.

Zeichungen in Tel Aviv, Unterengadin und London

Sicher ist, dass Emma-Kunz-­Werke mittlerweile auch bei Galeristen und in der internationalen Art-Fair-Szene angesagt sind. ­Kuratorengrössen wie der ver­storbene Harald Szeemann (1933–2005) oder Bice Curiger (72) erkannten früh deren künstlerischen Wert. Die konzentrischen Zeichnungen sind etwa im Tel Aviv Museum of Art zu bestaunen gewesen, im ­Muzeum Susch im Unterengadin oder in der Serpentine Gallery in London. Bedenkt man den Wert von Grundstück, Firma und künstlerischem Nachlass, dürfte es um um etliche Millionen Schweizer Franken gehen, über deren Besitz das Badener Bezirksgericht nun entscheiden muss. Dort hat Gandola sein sogenanntes Herabsetzungsbegehren deponiert.

Im Fokus stehen seine beiden Halbgeschwister, die Stiftung und die Firma – allesamt werden sie in ­Personalunion von Rechtsanwalt Markus Siegrist vertreten. Dessen Klienten sehen die Sache ganz anders: Gandola sei kein gesetzlicher Erbe, da ihn das Zivilstandsregister nicht als Meiers Sohn führt. Ausserdem hätte er eine Erbschaftsklage einreichen müssen. Das Ansinnen sei chancenlos, heisst es dort. Siegrist will die Sache nicht kommentieren.

Gandola und sein Rechtsvertreter Philip Stolkin hingegen sind zuversichtlich. Der Jurist ist in Strassburg kein Unbekannter; er hat diverse Fälle erfolgreich bis zum Gerichtshof für Menschenrechte weitergezogen, die EMRK ist sein juristisches Steckenpferd. Natürlich würde er es auch dieses Mal tun, sagt er. Und verweist auf den ähnlichen Fall eines Deutschen, der 2009 in Strassburg recht bekam. Eine Diskriminierung aus der Vergangenheit lasse sich nicht in die Gegenwart übertragen, lautete ­damals das Verdikt. «Offensichtlich gedenkt die Emma Kunz Stiftung von dieser Diskriminierung zu profitieren», betont Stolkin.

Anton C. Meier liess sich übrigens von seiner Frau scheiden, der Mutter seiner beiden ehelichen Kinder. Die letzten 30 Jahre seines Lebens verbrachte er mit Michael Gandolas Mutter.

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