Nach den Anschlägen in Paris ist die geplante Aufrüstung des schweizerischen Geheimdienstes (NDB) aktueller denn je. Mit dem neuen Nachrichtengesetz, kurz NDG, baut die Schweiz ihren Geheimdienst massiv aus. Doch die Aufrüstung geht Experten und Politikern in einem wesentlichen Punkt zu weit.
Der NDB soll neu den gesamten Internetverkehr der Schweiz mit dem Ausland belauschen und auf bestimmte Begriffe durchsuchen können. Vorbild ist der US-Geheimdienst NSA, der dies in den USA schon seit Jahren macht.
Mails, Facebook, Suchabfragen, Whatsapp-Nachrichten: Alles, was über das Internet läuft, könnten die Schweizer Geheimdienstler durchsuchen. Diese «Kabelaufklärung» ist unter Experten umstritten. «Man hat Unmengen von Daten und weiss nicht, was man damit anfangen soll», sagt beispielsweise Informatik-Forensiker Guido Rudolphi (53). Christina Schori Liang, Terrorismusexpertin am Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik, sagt klar: «Eine solche Massenüberwachung ist zwecklos.»
Nachdem in der vorberatenden Kommission nur linke Politiker die Kabelaufklärung kritisierten, regt sich nun auch Widerstand bei bürgerlichen Sicherheitspolitikern. FDP-Nationalrätin Corina Eichenberger (60): «Die Massenabfrage, wie sie im Gesetzesentwurf vorgesehen ist, beurteile ich kritisch. Ich denke nicht, dass wir dieses Konzept übernehmen sollten. Wir brauchen gezielte Massnahmen mit einer starken Aufsicht.» Auch GLP-Nationalrat Roland Fischer (49) sieht die Kabelaufklärung als «kritischen Punkt». In der Frühlings-Session im März wird das neue Gesetz im Nationalrat behandelt. Einen Antrag auf Streichung der Kabelaufklärung wird Grünen-Nationalrat Daniel Vischer (64) einreichen, wie er auf Anfrage bestätigt.
Schori Liang rät, an einem ganz anderen Ort aufzurüsten: Die Schweiz solle aktiv Gegenpropaganda betreiben. «Die Internet-front muss besser verteidigt werden. Dazu braucht es Informations-kampagnen, um der Dschihad-Propaganda entgegenzuwirken.» Das US-Aussenministerium betreibe beispielsweise einen Twitter-Account «Think Again Turn Away» («Denk nach, wende dich ab»), um Dschihadisten und Sympathisanten vom Heiligen Krieg abzubringen. Ein solcher Ausbau wäre naheliegend, da die Schweiz bereits heute ein Internet-Monitoring betreibt: Ermittler der Bundespolizei Fedpol und Analysten des NDB suchen auf Facebook und in Foren gezielt nach Dschihadisten. «Hier ist die Schweiz Vorreiterin», sagt Lorenzo Vidino (37), der zum Terrorismus in Europa forscht.
Seit letztem Jahr tauschen sich NDB und Fedpol in der Dschihad Task Force über konkrete Fälle aus. Die Task Force stellt sicher, dass keine Hinweise verloren gehen. Bei konkreten Hinweisen greift die klassische Terrorabwehr: Die Anti-Terror-Abteilung des Fedpol ermittelt im Auftrag der Bundesanwaltschaft gegen Verdächtige, auch undercover. 20 Verfahren laufen zurzeit. Das Fedpol setzt dabei stark auf Telefonüberwachung.
Vidino lobt die Truppe: «Die Schweiz arbeitet mit vergleichsweise wenigen Leuten sehr effizient und kann immer wieder Erfolge verbuchen.» So hat die Bundesanwaltschaft im März letzten Jahres drei mutmassliche IS-Terroristen verhaftet, die Anschläge in Europa planten. Das Fedpol hindert zudem mutmassliche Terroristen und Extremisten an der Einreise, 42-mal von 2011 bis 2013.
Auch der NDB ist sehr aktiv. Geheimdienstler überprüfen systematisch Personen, die via Schengen in die Schweiz einreisen, und kontrollieren Anträge von Asylbewerbern auf mögliche Terrorverbindungen. Und sie beschatten mutmassliche Dschihadisten und Rückkehrer.
Mit dem neuen Gesetz soll der Geheimdienst neu ebenfalls abhören können – im Gegensatz zur Bundesanwaltschaft aber präventiv, ohne polizeiliches Verfahren. Der NDB wird auch Privaträume wie Moscheen oder Wohnungen verwanzen oder Verdächtige mit Peilsendern, Drohnen und Satellit überwachen können. Solche Einzelmassnahmen seien im Gegensatz zur Massenüberwachung sinnvoll, findet Expertin Schori Liang: «Man sollte die begrenzten Ressourcen nutzen, um gezielt Verdächtige zu überwachen.»