Peter Wenger (75) aus Turbenthal ist leidenschaftlicher Bähnler. Trotz Gehbehinderung und einem Körpergewicht von über 200 Kilo ist er fast täglich auf Reisen. Besucht die Kappellbrücke in Luzern, fährt hoch zum Brünig im Berner Oberland oder dann aufs Hörnli in Fischenthal ZH.
Mobil ist Wenger dank seines «Kyburz Classic». Ein elektrischer Rollstuhl, finanziert durch die Invalidenversicherung (IV). «Mit diesem Gerät behalte ich meine Selbständigkeit und falle niemandem zur Last», sagt Wenger.
Doch damit ist nun Schluss. Denn Thurbo – die Ostschweizer Regionalbahn der SBB – will Wenger morgens zwischen 6 und 9 Uhr sowie Abends zwischen 16 und 19 Uhr nicht mehr mit diesem Gefährt befördern. Grund: Das Elektromobil sei zu gross.
«Ich fahre damit seit sieben Jahren problemlos»
Wenger ist erzürnt über die dicke Post von Thurbo. «Ich fahre jetzt schon seit sieben Jahren mit dem E-Scooter und noch nie hat es irgendwelche Probleme gegeben», sagt er. «Und jetzt will man mich zu Stosszeiten aus dem Zug verstossen!» Das findet er diskriminierend. «Ich bereite niemandem Probleme im Zug», so Wenger.
Der pensionierte Elektromonteur hat ein bewegtes Leben hinter sich. Mit 30 Jahren erlitt er hoch oben auf einem Mast einen Stromschlag, stürzte in die Tiefe. Sein Rücken ist seither kaum mehr belastbar. Zu Hause kann Wenger höchstens ein, zwei Schritte gehen. «Mein genetisch bedingtes Übergewicht verschlimmert die Rückenprobleme zusätzlich», sagt er.
Trotzdem wohnt Wenger autonom. Selbst nachdem vor Jahren seine Frau überraschend gestorben ist. «Ich bin trotz Widrigkeiten mit meinem Leben zufrieden. Dank meinem Generalabonnement kann ich in der ganzen Schweiz umherreisen und viele schöne Fotos machen.»
«Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür»
Dass die SBB ihm nun das Zugfahren einschränken will, trifft den Rentner umso härter. «Vor allem, weil es keinen vernünftigen Grund dafür gibt», so Wenger. Er sei im Zug rücksichtsvoll und immer freundlich zu Mitfahrern und dem Personal. «Aber für Arzttermine oder längere Reisen bin ich auch zu Stosszeiten auf den Zug angewiesen!»
Für Wenger ist klar: Er muss draussen bleiben, damit die gesunden Menschen genügend Platz haben. Wenn es derart Platzprobleme gebe, könne Thurbo in Stosszeiten doch einfach einen zusätzlichen Wagen anhängen.
Thurbo-Pressesprecher Werner Fritschi verteidigt die Weisung. «Herr Wenger fährt einen E-Scooter mit einer Länge von 1,70 Metern. Diese Fahrzeuge sind im ÖV eigentlich gar nicht zugelassen», so Fritschi. Trotzdem sei man grosszügig und nehme ihn auf Zusehen hin mit. Jedoch werde man das zu Stosszeiten nicht mehr tolerieren. «Dies, um die Sicherheit unserer Fahrgäste und des Personals zu gewährleisten», so Fritschi.
Procap: «Eindeutig diskriminierend»
Für die Behindertenorganisation Procap völlig unverständlich. «Die Anweisung der Regionalbahn Thurbo ist eindeutig als diskriminierend einzustufen», sagt Martin Boltshauser, Leiter des Procap-Rechtsdienstes. Wenger sei vollumfänglich auf seinen Elektrorollstuhl angewiesen. «Basierend auf dem Diskriminierungsverbot, wie es in der Schweizer Bundesverfassung festgehalten ist, darf er nicht wegen seiner Behinderung benachteiligt werden», so Boltshauser weiter.