Gefängnisse sind mit der Betreuung überfordert
Knastis werden immer älter

Über 600 Häftlinge in der Schweiz sind über 50 Jahre alt, ein Drittel sogar über 70. Die Anzahl alter Knastis steigt – und damit die Anzahl sterbender und pflegebedürftiger Insassen. Das Problem: Die Gefängnisse sind überhaupt nicht auf diese Art der Betreuung ausgerichtet.
Publiziert: 26.04.2016 um 10:34 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:40 Uhr
Zellentrakt des Normalvollzugs in der Justizvollzugsanstalt Lenzburg.
Foto: Bernard van Dierendonck

Die Zahl der Inhaftierten im Schweizer Justizvollzug, die bis zum Lebensende im Gefängnis sind, steigt seit Jahren. Eine Studie der Universitäten Bern und Freiburg zeigt, dass Haftanstalten kaum darauf eingestellt sind, Gefangenen ein würdiges Sterben zu ermöglichen.

Anzahl alter Häftlinge steigt

Über 600 inhaftierte Straftäter in der Schweiz sind über 50 Jahre alt, fast ein Drittel sogar über 70. Dass diese Zahlen seit Jahren steigen, liege an der allgemein alternden Gesellschaft, der zunehmenden Alterskriminalität, strengeren Gesetzen und härteren Strafen, schrieb der Schweizerische Nationalfonds (SNF) in einer Mitteilung vom Dienstag.

Forschende der Universitäten Bern und Freiburg haben im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Lebensende» untersucht, wie sich Haftanstalten darauf einstellen, dass mehr Inhaftierte im Strafvollzug sterben, und was dies für die Inhaftierten und das Personal bedeutet.

Ein Dilemma für das Personal

Der Justizvollzug sei kaum auf den demografischen Wandel seiner Insassen vorbereitet, fasste Studienleiter Ueli Hostettler in der Mitteilung die Ergebnisse zusammen. Die Anstalten seien auf Resozialisierung eingestellt, nicht auf alternde Verwahrte. Das Personal stecke in einem Dilemma: Einerseits solle es die Straftäter kontrollieren, andererseits auch betreuen und pflegen.

Das Personal ist für die Alterspflege aber nicht ausgebildet. Ausserdem berühren Vollzugsmitarbeiter die Inhaftierten aus professionellen Gründen nicht. Das steht im Widerspruch zu den Anforderungen an die Alterspflege.

In Interviews mit Inhaftierten fanden die Wissenschaftler zudem heraus, dass viele Verwahrte befürchten, bei Krankheit und Schmerzen nicht ausreichend behandelt zu werden und dass ihre Wünsche nicht ernst genommen würden.

Diverse Massnahmen könnten helfen

Anhand ihrer Ergebnisse empfehlen die Forschenden, Zellen für die Langzeitpflege umzubauen, das Personal weiterzubilden oder professionelle Pflegekräfte beizuziehen. Auch die Lebensqualität für alte Verwahrte sollte verbessert und das Haftregime angepasst werden, zum Beispiel durch eine gelockerte Besuchsordnung oder die Möglichkeit zur eigenen Dosierung schmerzlindernder Medikamente.

Zudem sollten Inhaftierte entscheiden dürfen, wo sie sterben wollen, ob in der Anstalt oder in einem Hospiz ausserhalb. «Die Menschenrechte gelten auch für Gefangene. Auch sie haben das Recht auf einen guten Tod», sagte Hostettler. Bei einem Todesfall sollten die Mithäftlinge ausserdem transparent informiert werden, damit sie sich vom Verstorbenen verabschieden könnten.

Keine Regeln für den Tod hinter Gittern

In der Schweiz gebe es weder einheitliche Richtlinien noch juristische Normen für ein würdiges Lebensende im Freiheitsentzug, halten die Forschenden fest. Zwar würde das Strafgesetz alternative Vollzugsregime erlauben. Das Bundesgericht nutze diesen Spielraum jedoch kaum aus.

Für ihre Studie untersuchten die Forschenden um Hostettler sowohl rechtliche Grundlagen als auch die tatsächliche Situation in zwei Gefängnissen. Dabei analysierten sie den Verlauf von 15 Todesfällen und führten rund 60 Gespräche mit Inhaftierten und Angestellten. (SDA/kra)

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