Von Montag bis Freitag meldet der Bund täglich die neusten Corona-Todeszahlen – anonym, neutral, emotionslos. Wir nehmen sie wie Börsendaten zur Kenntnis.
Dabei steht hinter jeder Zahl ein Mensch. Es sind Tausende. Und kaum jemand konnte von ihnen Abschied nehmen. Das ist eine kollektive Katastrophe, die noch immer wie eine Reihe individueller Schicksalsschläge behandelt wird.
Und so trauert in diesen endlosen Monaten jeder für sich, ohne Sinn für das gesamtgesellschaftliche Trauma, das wir gerade durchleben.
Es wäre am Bundesrat, den Raum für gemeinsame Trauer zu schaffen. Mit einem nationalen Gedenktag etwa, wie ihn viele andere Staaten längst hatten. Doch die Landesregierung verdrängt das grosse Sterben – bis heute.
Die Tatenlosigkeit der Verantwortungsträger ist beschämend. Fürchten sie sich etwa vor einem landesweiten Gedenken?
Kollektive Trauer kann Macht entfalten. Wut auslösen. Und an gesellschaftlichen Machtverhältnissen rütteln. Vor allem aber stellt sie die Frage nach der Verantwortung.
Gut möglich, dass Bern Angst davor hat, dass ein Staatsgedenken von der Bevölkerung als Eingeständnis gelesen wird. Als Eingeständnis, Fehler begangen zu haben. Doch da muss der Bundesrat durch.
Die Trauer kann nicht bis zum Ende der Pandemie warten. Sie ist bitter nötig. Aus Solidarität mit den Betroffenen. Gegen das Vergessen der Toten – und als Mahnung an die Davongekommenen.