Schweizer Jugendliche verlieren im Durchschnitt im Alter von 16 Jahren ihre Unschuld, stehen auf Analsex und achten auf Verhütung. Das sind die Ergebnisse einer gross angelegten Studie zum sexuellen Verhalten junger Erwachsener in der Schweiz. Erschreckend jedoch ist, dass über die Hälfte der jungen Frauen Sex hat, ohne diesen wirklich zu wollen. Im Interview erzählt BLICK-Sexberaterin Caroline Fux, wieso junge Frauen dabei mitmachen.
BLICK: Mehr als die Hälfte der befragten Frauen gaben an, schon mal einen Sexkontakt gehabt zu haben, den sie nicht wirklich gewünscht haben. Erschreckt Sie das, wie viele Frauen Sex gegen ihren Willen hatten?
Das entspricht natürlich nicht dem, was man sich unter einer schönen Sexualität vorstellt. Man muss aber differenzieren: Hier ist nicht zwingend von «Sex gegen den Willen der Frau» die Rede. Andere Prioritäten zu haben oder etwas dem Partner zuliebe zu tun oder zu probieren, ist nicht an sich dramatisch. Problematisch wird es dann, wenn man dabei wichtige persönliche Grenzen missachtet oder die Hauptmotivation für Sex ist, dem andern gefallen zu wollen. Das Ergebnis greift auch einfach unsere Ideale von Sexualität und Liebe an.
Warum?
In der Vorstellung der meisten Leute passiert Sex nur aus Lust und Liebe. Natürlich sind das schöne Gründe, aber im Alltag spielen oft auch andere eine Rolle: Langeweile, der Wunsch zu gefallen, sich versöhnen zu wollen oder um einer Diskussion zu entgehen. Fast immer ist es ein Mix. Und das ist absolut okay so – wenn es wie gesagt nicht die Regel ist. Verlässt man sich zu oft und zu lange auf Gründe, bei denen nicht die eigene Freude im Zentrum steht, geht die Lust auf Sex flöten. Das mag banal klingen, aber gerade Frauen sabotieren so ihre Sexualität, weil sie sich zu wenig kennen oder zu wenig auf sich selbst hören.
Die meisten der betroffenen Frauen gaben an, dass sie es getan hätten, um die gute Beziehung zum Partner nicht aufs Spiel zu setzen.
Diese Begründung überrascht mich nicht. Sich gegen einen Menschen abzugrenzen, den man liebt und nicht verlieren will, ist wahnsinnig schwierig. Das geht nicht nur Jungen so. Ich habe Fragen von über 50- oder 60-jährigen Frauen und Männern, die genau mit diesem Thema kämpfen. Wir alle wollen geliebt werden. Unbequem zu sein und zu den eigenen Bedürfnissen zu stehen, braucht Kraft und auch eine gewisse Lebenserfahrung.
Fast die Hälfte aller Männer gibt an, schon mal Analsex probiert zu haben. Sind Pornos schuld an dieser Entwicklung?
Der Einfluss der grossen Verbreitung von Pornografie ist sicher nicht zu unterschätzen. Das ist dann ein Problem, wenn jungen Menschen die sexuelle Bildung fehlt, um das, was sie dort sehen, einzuordnen. Besonders junge Männer sehen in Pornos eine sehr breite Palette an Dingen und haben schnell mal das Gefühl, etwas wie Analsex sei Standard. Dieses Bild vermitteln sie dann ihrer Partnerin, und die kommt unter Druck. Wobei es ja durchaus auch Frauen gibt, die diesbezüglich neugierig sind. Schwierig ist, dass gerade Junge oft eine komplett falsche Vorstellung davon haben, wie Analsex gestaltet werden muss, damit er lustvoll ist für den empfangenden Part, weil da im Porno einfach krass geschummelt und zensiert wird. Sie folgen also einem falschen Bild, die Partnerin lässt sich überreden, und dann tut es unter Umständen grässlich weh.
Gehört Analsex deshalb auf den Stundenplan der Aufklärung?
Warum nicht? Es ist nichts Verwerfliches daran. Die Message wird nie sein: «Ihr müsst alle Analsex haben!» Das eigentliche Problem ist, dass in unserer sexuellen Bildung das Thema Lust schon fast kategorisch ausgespart wird. Dort steht leider immer noch fast ausschliesslich Schadensbegrenzung im Vordergrund. Ja nicht schwanger werden! Ja mit nichts anstecken! Natürlich sind das wichtige Themen, aber zu wissen, wie man Lust und Positives erlebt, ist mindestens so wichtig, wie Negatives zu verhindern. Wer weiss, was er gern hat und was nicht, kann sich besser abgrenzen.
Welche Konsequenzen haben negative Erfahrungen für die spätere Sexualität?
Das ist sehr unterschiedlich. Nicht jeder missglückte Kontakt führt zu einem Drama oder Trauma. Zum Lernen und Ausprobieren gehört auch, dass mal was nicht so gut läuft. Sexuell kompetent sein heisst nicht, dass alles immer und von Anfang an perfekt ist, sondern dass man lebt, lernt und sich abgrenzt. Das Erlebnis, etwas probiert zu haben und danach zu wissen, dass es nichts für einen ist, kann sehr wertvoll sein.
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