Willy Sauter (66) hatte eine schwierige Kindheit. Sein Vater starb bei einem Arbeitsunfall, als er ein kleines Kind war. Kurze Zeit später wurde er seiner Familie entrissen und wuchs bei einer Pflegefamilie auf, wo er misshandelt wurde. Seine Mutter wie auch seine beiden Brüder sah er nie wieder.
Doch Willy Sauter haderte nicht mit seiner Vergangenheit. Er war Sportphysiotherapeut für Fussball-Spitzenklubs. Vor elf Jahren wanderte er nach Brasilien aus, kümmerte sich dort um die Ferienwohnungen eines Bekannten. Doch das Schicksal schlug ein zweites Mal zu: Er erkrankt am grünen Star, erblindet langsam. Die Krankheit zwang ihn vor einem Jahr zur Rückkehr in die Schweiz.
Sauter ist eines von Tausenden Opfern der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, wie sie von den Behörden bis 1981 praktiziert wurden. Kinder wurden ihren Familien entrissen und in Heimen oder Pflegefamilien untergebracht. 2016 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Aufarbeitung. Unter anderem wird Betroffenen ein sogenannter Solidaritätsbeitrag bezahlt: 25'000 Franken erhalten sie auf Antrag.
Prioritäre Behandlung von schwer erkrankten Personen
Allerdings lief die Frist zu dessen Einreichung Ende März 2018 ab. Von all dem bekam Willy Sauter in Brasilien nichts mit. «Wie sollte ich auch?», sagt er im Gespräch mit SonntagsBlick. Erst bei einem Arzttermin im letzten Sommer erfährt er davon, meldet sich beim Verein Fremdplatziert. Dort reicht Robert Blaser (62) den Antrag für Sauter ein.
Der Antrag ging beim Bund zu spät ein. «Doch das Gesetz sieht ausdrücklich Ausnahmen vor», erklärt Robert Blaser. So behandelt das für die Anträge zuständige Bundesamt für Justiz (BJ) Anträge von schwer erkrankten Personen prioritär. Explizit erwähnt sind Erblindungen.
Doch seit der Einreichung seines Antrags und der Begründung für seinen zu spät eingereichten Antrag inklusive ärztlichem Zeugnis hat Willy Sauter nichts mehr von den Behörden gehört.
Bundesamt für Justiz müsse sorgfältiger arbeiten
Laut Robert Blaser ist Willy Sauter kein Einzelfall. Und Blaser weiss von einem Gesuch, das ebenfalls nach Ablauf der Frist eingereicht wurde – trotzdem wurde der Solidaritätsbeitrag überwiesen. Offenbar geht es doch.
«Diese Ungleichbehandlung ist mehr als stossend», kritisiert Blaser. «Es darf nicht sein, dass die Behörden, die ihre Fehler der Vergangenheit nun aufzuarbeiten versuchen, nun wieder Fehler machen.» Das BJ müsse bei der Behandlung der Gesuche unbedingt sorgfältiger arbeiten.
Das BJ wollte sich mit Verweis auf das laufende Verfahren und aus Datenschutzgründen nicht zum konkreten Fall äussern, betont jedoch, dass man Gesuche anhand klarer Regeln prüfe.
Für Willy Sauter, der sich immer an die Vorgaben der Behörden halten musste, seine Steuern pünktlich zahlte, ist die lange Dauer der Prüfung seines Gesuchs unverständlich.
«Im Rütlischwur lauten die ersten Zeilen: ‹Wir wollen sein ein einzig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr›», so Sauter.