«Das bin ich!» Der DJ grinst und deutet auf eine Stelle des Plakats, das für sein Technofestival wirbt. Die Schweizer Künstlerin Marinka Limat und der Musiker Zvonko streifen durch eine Sommernacht in der Stadt Paracín. Die Autos rauschen, auf den Bordsteinen wird über das Leben geplaudert. «Ich weiss nicht, wie es ist, berühmt zu sein», sagt er, «aber es ist ein gutes Gefühl, wenn die Leute deinen Namen rufen und deine Tracks mitsingen». Seinen Traum von der internationalen Karriere habe er wegen der Arbeit für das Geschäft der Familie aus den Augen verloren. «Ich konnte sie nicht hängen lassen.»
Mancher Episode, wie derjenigen in Paracín, würde man gern länger lauschen im Kurzfilm «Art of the encounter» von Marinka Limat. Doch im dokumentarischen Essay, der am FIFF in der Sektion «passeport suisse» zu sehen ist, geht es gerade darum: die kurzen und flüchtigen, aber trotzdem einprägenden Bekanntschaften einer Durchreisenden.
Die «Kunst der Begegnung», wie Limat ihre Methode nennt, hat die Freiburger Performancekünstlerin auf drei Wanderungen durch Europa erprobt. Das Projekt «Kunst-Pilger-Reisen» begann sie nach dem Studium an der Hochschule der Künste Bern. 2017 machte sie die letzte dieser Reisen, von der nun der Kurzfilm «Art of the encouter» erzählt.
Keystone-SDA hat die Künstlerin zusammen mit zwei weiteren FIFF-Gästen vor dem Festival zum Gespräch getroffen. Der Fotograf Dimitri Känel und der Regisseur Flavio Sanchez Moreno zeigen im gleichen Programm mit Schweizer Kurzfilmen ihre Reportage «Comme un arbre» aus Madagaskar, gedreht 2019. Känel ist Gründer des Vereins «Macromascar», mit dem er über die Schweizer NGOs Glocal und Nouvelle Planète und den WWF lokale Entwicklungsprojekte unterstützt.
Im Unterschied zum Pilger-Essay ergründen die beiden Freunde aus Freiburg die Menschen und Landschaften, Identitäten und Strukturen der postkolonialen Gesellschaft auf der Insel mit einem anthropologischen und geografischen Blick.
«Die tiefere Aufarbeitung der Zeit der Kolonialisierung und Unterdrückung hat erst begonnen. Die aktuelle Generation bezieht zunehmend Stellung», sagt Känel. Das mit der Kamera einzufangen, fiel ihnen nicht immer leicht. «Wir wollten authentische Dialoge, aber über die Kamera, unsere Herkunft aus einem privilegierten Land und unsere Funktion als NGO-Vertreter erhielten wir oft nicht so offene Antworten wie erhofft», sagt Sanchez Moreno.
Viel diskutieren, die eigene Rolle reflektieren und verhandeln, das Gegenüber mit seiner Geschichte kennenlernen, das waren für die jungen Filmer die wichtigsten Fähigkeiten. Auch Marinka Limat hat beim Reisen einiges gelernt und «die Sinne geschärft», sagt sie. Ihre Offenheit verschafft ihr nicht nur angenehme Situationen. Einmal muss sie etwa von einem übergriffigen Kutscher fliehen, ein Schreckmoment, auch für die Zuschauenden.
Ein anderes Mal stellte sich ein netter Gastgeber als Nazi heraus – dies erzählt Limat im Interview, im Film kommt es nicht vor. «Das warf bei mir schon die Frage auf: Wo sind die Grenzen der Begegnung?», so die Künstlerin. Sie und die Macher von «Comme un arbre» sind sich einig, dass die rund 30-minütigen Werke die komplexe Realität, intensiven und teils widersprüchlichen Erlebnisse ihrer Reisen begrenzt widerspiegeln können. Für das Reisegefühl im Kino ist das jedoch kein Hindernis.
* Dieser Text von Céline Graf, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
(SDA)