Bäume sterben durch Dürre und erhöhte Temperaturen ab
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Waldforscher klärt auf:Bäume sterben durch Dürre und erhöhte Temperaturen ab

Forscher und Experten erklären
So geht es unserem Wald

Wie geht es dem Wald nach den Stürmen und dem Trockensommer von 2018? Wir haben Förster, Forscher und andere Waldexperten gefragt.
Publiziert: 20.05.2019 um 12:05 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:05 Uhr
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Der Schweizer Wald wird sich verändern – dieser Föhrenwald in Pfyn hat leider keine Zukunft…
Foto: Jessica Keller
Silvia Tschui

Früher, da war die Fichte noch was wert. «Der Preis eines Baums entsprach dem Wert von zwei Wochen Arbeit. Heute bekommst du pro Baum noch so viel Gewinn raus, wie eine einzige Arbeitsstunde eines Waldarbeiters kostet, also vielleicht 80 Franken», sagt Michael Gautschi, Direktor des Verbands Holzindustrie Schweiz.

Die Zahl erstaunt – und macht fassungslos. Denn eine gute Fichte mit einem rechten Stamm hat ein Wachstum von mindestens 80, eher 100 Jahren hinter sich, bis sie erntereif ist. Und unsere Vorfahren haben zu ihr geschaut: Waldarbeiter entfernten bis in die 1960er-Jahre in viel Arbeit die unteren Äste, damit die Fichten heute einen möglichst aufrechten, geraden Wuchs zeigen. «Das können spätere Generationen vergessen», sagt Gautschi. Niemand hat heutzutage mehr Zeit, den Werkstoff Holz so zu pflegen, die Arbeitszeit ist schlicht zu teuer.

Die Fichte hat im Mittelland keine Zukunft

Aber das ist nicht der einzige Qualitätsverlust der hiesigen Fichtenstämme. «Die Jahrringe beginnen, breiter zu werden», sagt Gautschi. Dies ist auf die steigenden Temperaturen der letzten Jahre zurückzuführen. Weite Jahrringe bedeuten aber auch weniger Stabilität: Je langsamer das Holz wächst, je enger die Jahrringe stehen, desto stabiler ist der resultierende Stamm. Und weniger Stabilität ist ein Problem: Fichtenholz ist DER Baustoff für Häuser, aus Fichte sind nahezu sämtliche hiesigen Dachstöcke und zunehmend auch Wand- und Bodenkonstruktionen erbaut – da Fichtenholz sich bei Änderungen der Luftfeuchtigkeit oder Temperatur wenig verzieht. Und es lässt sich leicht bearbeiten, lässt sich fräsen, sägen, hobeln, verleimen und nageln. Aber nicht mehr für lange.

Noch sind zwar 44 Prozent des gesamten Holzvorrats im Schweizer Wald Fichten. Doch der Werkstoff ist begehrt – und er nimmt ab: Hitzesommer wie der letztjährige setzen der Fichte zu, sie verträgt die Trockenheit nicht. Die Wärme begünstigt zudem den Borkenkäfer. So sind die Bäume bereits geschwächt. Kommen die zunehmend heftigeren Stürme hinzu, wird es für die Fichte noch enger – mit ihren flachen Wurzeln ist sie ihnen nicht gewachsen. Beispielhaft zeigt sich das an einem Waldstück unterhalb der Albisbergkette in Rüschlikon ZH. Kreisforstmeister Jürg Altwegg und Förster Damian Wyrsch zeigen uns eine lichte Stelle von einigen Hundert Metern. Eigentlich würde ein Laie diese Stelle wohl gar nicht Wald nennen, sondern eher «undefiniertes, halbhohes Gestrüpp». Dicht daneben wird es dunkel, dort stehen Fichten in Reih und Glied. «So hat das an dieser lichten Stelle vor kurzem auch noch ausgesehen», sagt Wyrsch. Hier standen Fichten, in Reih und Glied, Sturm Burglind hat sie am 4. Januar 2018 alle gefällt. Vermehrte, heftigere Stürme wegen des Klimawandels sind aber nicht der einzige Grund: «Grosse Bestände von Fichten für die Holzindustrie anzupflanzen, galt früher als guter Wald», sagt Wyrsch. «Den bläst es jetzt halt Stück für Stück um.» Monokultur sei für den Wald ebenso schlecht wie für die Landwirtschaft. Für ihn ist das Waldstück, das für uns wie Gestrüpp aussieht, Anlass zur Freude: «Da kommt alles nach, was sollte: Kirsche, Ahorn, Eiche, Nussbaum – der Zürcher Wald entwickelt sich in eine gute Richtung.»

Gut bedeutet für Wyrsch: Gut für die Artenvielfalt, gut fürs Klima, gut für Tiere und Menschen, die hier als Erwachsene ihr Naherholungsgebiet finden, und für Kinder, die im Waldkindergarten oder in der Waldschule Unterricht erhalten. Dieser neue Wald ist lichter und hellgrüner als der von Fichten dominierte Wald unserer Kindheit. Und er ist so gewollt: «Wir müssen auf artenreiche Wälder setzen, auf Bäume, die besser mit Trockenheit zurechtkommen.»

Auch die Buche leidet unter der Trockenheit

Das bedeutet zum einen eine Abnahme des Fichtenbestands – aber auch die hierzulande weit verbreitete Buche gerät unter Druck: Auch diese ist nicht resistent gegen die Trockenheit. Im Rüschliker Wald zeigt sich dies bereits: Mehrere Fichten sind tot oder bereits gefällt, genauso wie vereinzelte Buchen und natürlich auch Eschen – denen macht seit längerem ein eingewanderter Pilz den Garaus, indem er die Wasserzufuhr innerhalb des Baums unterdrückt.

Auf den Schweizer Wald kommen also durchaus Veränderungen zu – nur findet sie Wyrsch nicht nur negativ: «Seit rund 20 Jahren treffen wir Massnahmen zur Förderung der Artenvielfalt», sagt der Förster. In Zusammenarbeit mit dem Naturschutz wurden in der waldangrenzenden Landwirtschaft Hecken gepflanzt, Blühstreifen mit heimischen Wildstauden angelegt und vielfältige Biotope geschaffen.

Wyrsch führt uns zu einer dicken Eiche: «Die hier konnte nur so gross werden, weil mindestens drei, eher vier Generationen von Förstern zu ihr geschaut haben und Wuchs rundum entfernt haben.» Solche sogenannten Biotopbäume sind wichtig, da sie Lebensräume für viele Arten bieten: Auf grossen Eichen etwa leben über 100 Insektenarten. «Sie wird hoffentlich noch viele Förstergenerationen stehen bleiben», sagt Wyrsch – und fügt an: «Endlich sind solche Bestrebungen, nämlich den Wald langfristig und artenvielfältig zu bewirtschaften und zu pflegen, auch in der Politik angekommen.» Drei bis vier solcher Biotopbäume pro Hektare (also 100 auf 100 Quadratmeter) empfehlen die kantonalen Richtlinien.

Und auch sonst hat sich das Waldkonzept geändert: vom reinen Nutzwald, wie er früher angelegt wurde, zum sogenannten «Dauerwald», dem nur Einzelbäume entnommen werden und in dem verschiedene Baumarten verschiedenen Alters stehen. Gezielt schafft der Förster mit dem Fällen einzelner Bäume sogenannte Lichtschächte, in denen verschiedenes junges Laubholz nachwächst. «Ein solcher Wald ist zukunftsfähiger als ein rein auf den Holzertrag ausgerichteter Nutzwald mit vielen Fichten», sagt Wyrsch.

Dürrestress für die Föhre im Walliser Pfynwald

Arthur Gessler, Wissenschaftler der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und ETH-Professor, sieht den Einfluss des Klimawandels auf den Wald etwas bedenklicher als Förster Wyrsch. Wir treffen ihn bei Leuk im Wallis, wo er ein WSL-Forschungsprojekt leitet. Direkt bei Leuk befindet sich der Pfynwald, und der ist in der Schweiz einzigartig. Hier, wie auch in einigen Wäldern im Oberwallis, wachsen hauptsächlich Föhren. Oder: Wuchsen hauptsächlich Föhren. Auch ihnen wird es zu trocken, auch weil durch den Temperaturanstieg ihr Wasserbedarf steigt und vermehrt Trockenjahre auftreten. Besonders dramatisch: der letztjährige Hitze- und Dürresommer.

Um die Auswirkungen von langfristigem Dürrestress auswerten zu können, bewässert das Forschungsprojekt einzelne Waldparzellen. Direkt daneben liegen die unbewässerten Waldstücke. Das Forschungsprojekt misst nun diverse Parameter mit diversen Mitteln. Sogenannte Saftflusssensoren messen, im Stamm angebracht, etwa den Wassertransport innerhalb des Baums. Mittels mit Sensoren bestückten Drohnen kontrolliert die Forschungstruppe die photosynthetische CO2-Aufnahme oder Temperatur über den verschiedenen Feldern, mittels Sammelstation am Boden den Nadelstreu-Eintrag in den Waldboden und die Humusbildung.
Für den Laien ist der Unterschied zwischen den zwei Waldstücken aber auch ohne all die Messungen sofort ersichtlich. In den bewässerten Teilen ist es dunkel. Dichte Föhrenkronen legen den Boden in tiefen Schatten. Zwei Schritte weiter bietet sich ein völlig anderes Bild. Hier liegt Föhren-Totholz, Lichtungen haben sich gebildet, diverse Föhren zeigen abgestorbene Kronen, und es wachsen kleine Laubbäume nach. Flaumeichen, um genau zu sein. Sie waren bis anhin eher auf der Alpensüdseite und in milderem Klima in Frankreich zu finden.

Schutzwaldfunktion ist nicht mehr gewährleistet

Nun sei eine Abfolge der Arten eigentlich normal, wenn sich die Bedingungen verändern, sagt Gessler, ein Wald sei immer ein dynamisches Gebilde. Im Fall der sterbenden Föhren gibt es aber zwei Probleme, insbesondere im Oberwallis. Die Föhren haben dort eine starke Schutzwaldfunktion: Sie befestigen die Hänge. Sterben sie, kann es vermehrt zu Bergrutschen und grossen Steinschlägen kommen, weil nichts mehr die Hänge zusammenhält. Nachwachsende Eichen benötigen noch Jahre bis Jahrzehnte, um die Hänge zu stabilisieren.

Überhaupt: «Diese Geschwindigkeit, mit der die Temperatur steigt, ist in der Weltgeschichte noch nie da gewesen», sagt Gessler. «Es ist deshalb unklar, ob in 50 Jahren vielleicht auch die Bedingungen für die Eiche zu warm sind.» Trotz aller Bedenken gibt er sich, zumindest, was den Schweizer Wald anbelangt, zögerlich positiv: «Unsere Messungen ergeben im Moment, dass es dem mittelländischen Wald, ausser bei einzelnen Baumarten, bezüglich der Trockenheit einigermassen gut geht», sagt er und fügt nach einem Zögern ein «noch» an.

Verhalten positiv äussert sich auch Gautschi vom Verband Holzindustrie Schweiz. «Wir hoffen und gehen davon aus, dass die Fichte zumindest an feuchteren und kühleren Standorten noch Bestand haben wird.» Er zählt auch darauf, dass die Waldbesitzer vermehrt auf die trockenheitsresistentere Douglasie, ein nordamerikanisches Nadelgehölz mit guten Eigenschaften für die Industrie, setzen werden. Diese könnte die Fichte teilweise ersetzen. Aber auch die einst verpönte, einheimische Weisstanne zählt zu den Hoffnungsträgern im Klimawandel.

In der Holzindustrie sind neue innovative Ansätze gefragt

Glaubt man Förster Wyrsch, ist das allerdings Wunschdenken: «Die Douglasie hat ein gutes Holz, für die Artenvielfalt bringt sie wenig bis nichts» – und die Fichte hätte im Mittelland langfristig keine Zukunft. Kreisförster Altwegg ergänzt: «Eine schweizerische Forstwirtschaft ist erwünscht. Sonst müssten wir Fichten aus Sibirien importieren – das wäre ressourcenmässig eine riesige Verschwendung.» Es gäbe aber interessante Forschungsansätze an der ETH mit Laubholz. Die Holzindustrie müsse eben endlich auf Innovation setzen, statt der Fichte nachzutrauern.

Der Spagat sei aber allgemein nicht einfach, da der Wald so viele Funktionen wahrnehmen müsse: Heimat für diverse Tiere und Pflanzen, Rohstofflieferant, Klimaregler, Naherholungsraum. Wyrsch schliesst dennoch auf einer positiven Note: «Wenn ich durch meinen Wald gehe, dann sehe ich viel Gutes. Die Artenvielfalt hat zugenommen, und das macht mich froh.»

Alle wollen ein Stück Wald

Der Wald als kostenloser Wellness-Tempel

Dass ein Spaziergang im Wald guttut, ist hinlänglich bekannt. Weil der Begriff «Waldspaziergang» in gewissen Kreisen wohl nicht modern genug klingt, hat er jetzt ein Update bekommen: Waldbaden heisst das jetzt und wird in den sozialen Netzwerken gross abgefeiert. Die Vorteile sind dieselben. Entspannung, körperliche Bewegung, viel Sauerstoff.

Der Wald als Rohstoff-Lieferant

Rund 1,8 Millionen Kubikmeter Holz zieht die Holzindustrie aktuell jährlich aus dem Schweizer Wald, davon sind 1,1 Millionen Kubikmeter nutzbares, sogenanntes Schnittholz. Der Rest wird zu Sägespänen, Spanplatten oder Papier verarbeitet. Laubholz macht nur 5 Prozent der gesamten Menge aus, die Holzindustrie verarbeitet Hauptsächlich Föhren und Fichten für den Baubedarf.

Der Wald als kostenloser Freizeit- und Fitnesspark

Vita-Parcours, Biken und Joggen, aber auch mit der Familie bräteln, Pilze sammeln oder Pfadi-Übungen veranstalten – im Wald verbringen viele gern ihre Freizeit, insbesondere in Waldgebieten in der Nähe von Städten. So geraten aber diverse Tierarten unter Druck. Sie müssen sich oft verstecken und finden deshalb weniger Zeit, um Nahrung aufzunehmen oder Ruhe zu finden.

Der Wald als Lebensgarant für Mensch und Tier

Wälder sind die Lungen der Welt – Bäume generieren den grössten Teil des Sauerstoffs, den wir atmen. Aber auch für viele Tierarten, vom kleinen Nager bis zum grossen Wild, bietet der Wald eine Heimat. Ohne den Wald wäre zudem die Landwirtschaft nicht denkbar: Wald hält Wasser im Boden – in bewaldeten Gebieten liegt der Grundwasserspiegel höher und die Temperatur tiefer.

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