Wenn am Morgen in den Schweizer Städten die Toiletten rauschen, kommt in den Kläranlagen nicht nur unappetitliches Abwasser an – sondern auch eine wertvolle Fracht: Viren! Sie geben Hinweise auf die Gesundheit der Bevölkerung.
Die Eawag, das Wasserforschungsinstitut des Bundes, macht sich das zunutze: Jeden Tag nehmen ETH- und EPFL-Forscher Proben in sechs Schweizer Kläranlagen, von Lugano TI über Lausanne VD bis Zürich, um sie zu analysieren. Sie begannen damit schon kurz nach Beginn der Pandemie. Und es zeigte sich: Die Analyse des Abwassers ist schneller als die Auswertung der PCR-Tests.
«Wir erkennen das vor den Medizinern»
Und so zeigt sich auch die neue Delta-Variante bereits im Abwasser. Anfang Juni machten zum Beispiel drei Delta-Varianten in Zürich bereits 28,8 Prozent der Fälle aus. Und auch die aus Marokko stammende und in Thailand verbreitete Variante C.36.3 ist mit einem Anteil von 13,9 Prozent in Zürich vertreten.
Ist das Abwasser also das perfekte Frühwarnsystem? Nur bedingt. Eawag-Sprecher Andri Bryner sagt, dass die Eawag den klassischen PCR-Tests bei Erkrankten etwa zwei bis drei Tage voraus sei. Bedeutet: «Wir könnten vor neuen Ausbrüchen warnen. Wenn zum Beispiel nun wegen der Impfungen und des zurückgegangenen Bewusstseins für Corona nicht mehr so viel getestet wird, aber dennoch eine neue Welle anrollt, erkennen wir das im Abwasser vor den Medizinern.»
Monitoring wird bis 2022 verlängert
Bloss: Das Abwasser muss eine gewisse Virenmenge enthalten, damit die Daten aussagekräftig sind. Bryner erklärt: «In einer Kläranlage der Grösse vom Zürcher Werdhölzli, wo Abwasser von rund 450'000 Personen geklärt wird, kann das Virus erst detektiert werden, wenn etwa 200 Personen im Einzugsgebiet erkrankt sind.» Übers Wochenende wurden schweizweit aber nur gerade 239 Personen positiv getestet.
Um überhaupt so weit zu sein, dass heute in sechs Kläranlagen täglich die Virenkonzentration gemessen wird, musste die Eawag zu Beginn der Pandemie viel forschen. Bryner: «Abwasser ist ein trübes Wasser mit zahlreichen Stoffen drin. Wir mussten zuerst Methoden entwickeln, um überhaupt zuverlässig filtrieren und testen zu können, um aussagekräftige Zahlen zu gewinnen.»
Auch das BAG hat den Nutzen des Abwasser-Monitorings erkannt: Das Forschungsprojekt der Eawag wird nun verlängert und die Beprobung der ausgewählten ARA bis Ende Juli 2022 fortgeführt. Das Projekt wird komplett durch das BAG finanziert.
Langfristiges Projekt würde Millionen kosten
Brigitte Meier (49), Leiterin der Arbeitsgruppe Forschung beim BAG, sagt zu Blick: «Für die Lagebeurteilung ist das Abwasser nur einer von mehreren Indikatoren – aber ein zuverlässiger.» Doch wenn man nach Juli 2022 ein langfristiges, grossflächiges Überwachungssystem etablieren wolle, sei dies ein strategisch-politischer Entscheid. Kostenpunkt: mehrere Millionen im Jahr.
Auch Basel will Klarheit vom trüben Wasser: In einem Pilotprojekt im Mai testete Claudia Bagutti, Leiterin des kantonalen Biosicherheitslabors, ob im Abwasser der Stadt Coronaviren nachgewiesen werden können. Der Test war erfolgreich – derzeit laufen Gespräche über eine Fortsetzung des Projekts.
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