Zwischen Rucksäcken und Koffern, auf dem Boden des Flughafenterminals in Zürich, spielen zwei Mädchen Karten, immer wieder springen sie auf, recken ihre Köpfe hoch zu den Monitoren mit den Abflugzeiten. «Da steht überall cancelled», sagt die eine aufgeregt.
Es ist Freitagmittag, seit 10 Uhr führt eine IT-Panne weltweit zu Störungen. Mehrere Flughäfen haben den Betrieb eingestellt, auch in Zürich haben viele Airlines Verspätungen, zahlreiche Flüge fallen aus. «Mein Bauchgefühl sagt mir, wir kommen heute noch an», ist die Mutter der Mädchen überzeugt.
Grund für das, was später der Schweizer IT-Spezialist Nicolas Mayencourt im «Tages-Anzeiger» als «historischen Fall mit gigantischem Schaden» bezeichnen wird: ein fehlerhaftes Update bei der IT-Sicherheitsfirma Crowdstrike. Direkt betroffen sind sämtliche Crowdstrike-Kunden, die Microsoft nutzen – laut dem IT-Spezialisten Mayencourt geht es um «Hunderttausende Grosskunden» und «Millionen von Maschinen, die nicht mehr in Betrieb sind.»
Mehrere deutsche Spitäler sagen am Freitagvormittag für den ganzen Tag alle nicht lebenswichtigen Operationen ab, Tausende britische Arztpraxen und Apotheken kämpfen mit technischen Problemen, der britische Sender «Sky News» sendet vorübergehend nicht, auch Banken und der London Stock Exchange sind von Technik-Ausfällen betroffen. In den betroffenen Unternehmen zeigten die Rechner nur einen Bluescreen an, Sitzungen fallen aus.
Spitäler, Arztpraxen und Fernsehsender betroffen
Aus der Schweiz gibt es auch gute Nachrichten: Schweizer Spitäler und die Schweizer Börse setzen Crowdstrike zum Glück nicht ein. Nach und nach melden Weitere, dass sie von der IT-Panne nicht betroffen seien. Darunter etwa die Bundesverwaltung, Swisscom, Postfinance, SBB, Coop und Migros, Elektrizitätswerke und Betreiber von Kernkraftwerken in der Schweiz geben Entwarnung. Kurz nach 12 Uhr meldet der Crowdstrike-Chef dann endlich, das Problem sei behoben. Doch viele der am Flughafen Zürich gestrandeten Passagiere wissen immer noch nicht, wo sie heute Nacht schlafen sollen.
Auch viele Kunden des Unternehmens hätten weiterhin einen enormen Aufwand. Das sagt David Gugelmann, Co-CEO des Schweizer IT-Security-Herstellers Exeon Analytics. Da die Computer ständig abstürzen, könne es gut sein, dass das Update auf jedem Server manuell installiert werden müsse. Er sieht ein allgemeines Problem darin, dass einige wenige grosse Softwarefirmen den Markt derart beherrschen: «Wenn viele Unternehmen das gleiche Programm nutzen, kann ein Fehler katastrophale Auswirkungen haben.»
Mehr zur IT-Panne
In einer endlos langen Schlange für Umbuchungen schläft am Freitagnachmittag ein Bub auf zwei Koffern, die seine Mutter auf einem Wagen vor sich herschiebt.
Auch Margarita Segovia, die in derselben Schlange steht, weiss nicht, ob sie heute noch an ihrem Reiseziel Montenegro ankommt: «Wir stehen seit eineinhalb Stunden Schlange, und das nur, um zu erfahren, ob wir heute noch abfliegen können.» Bis sie dran kommt, könnte es nochmals eine Stunde gehen, schätzt Segovia mit Blick auf die Wartenden vor ihr. «Ich habe mir den Start in die Ferien anders vorgestellt.»
«Wenn ich steckenbleibe, habe ich nichts von meinen Ferien»
Während der langen Wartezeit hat Segovia sich mit der Frau angefreundet, die vor ihr in der Schlange steht. Valeria Burruni muss bis heute Abend unbedingt in Venedig sein. «Morgen früh startet dort eine Kreuzfahrt nach Griechenland und Montenegro. Wenn ich hier steckenbleibe, ist das Geld für mein Hotel und Venedig und die Kreuzfahrt weg und ich habe nichts von meinen Ferien.» Ein Junge, der heute zum ersten Mal in seinem Leben fliegen sollte, findet: «Ganz schön chaotisch. Aber vielleicht klappt es ja noch und wir können heute in Stockholm schlafen.»
Beim Ausgang aus dem Flughafen läuft Partymusik aus den Boxen einiger Jugendlicher. Sie sitzen auf ihren Koffern, trinken Bier, und haben, so scheint es, beschlossen, dass die Ferien jetzt begonnen haben, egal ob sie hier heute noch wegkommen.
Allein in Zürich fast 10'000 betroffene Reisende
Insgesamt mussten am Freitag mindestens 120 Flüge von und nach Zürich annulliert werden. Allein 9300 Swiss-Kunden waren davon betroffen. Die Swiss habe den Verkauf sämtlicher Flüge für Samstag und Sonntag stark eingeschränkt, um möglichst viele Fluggäste auf andere Flüge umzubuchen, heisst es. Fluggäste könnten Ansprüche gegenüber den Airlines geltend machen.
Ein fehlerhaftes Systemupdate führte bei Windows-Geräten zu sogenannten Bluescreens. Wird der blaue Bildschirm angezeigt, sind die Server unzugänglich und hängen in einer Art Dauerschleife fest. Diese müssen dann manuell gestartet werden. Erste Analysen zeigen ein grundlegendes Versagen in der Programmierung aufseiten von Crowdstrike. Unklar ist bislang, warum Crowdstrike den gravierenden Fehler nicht entdeckte, bevor das Unternehmen das Update an Millionen von Servern ausspielte – und nicht wie üblich gestaffelt.
Ein fehlerhaftes Systemupdate führte bei Windows-Geräten zu sogenannten Bluescreens. Wird der blaue Bildschirm angezeigt, sind die Server unzugänglich und hängen in einer Art Dauerschleife fest. Diese müssen dann manuell gestartet werden. Erste Analysen zeigen ein grundlegendes Versagen in der Programmierung aufseiten von Crowdstrike. Unklar ist bislang, warum Crowdstrike den gravierenden Fehler nicht entdeckte, bevor das Unternehmen das Update an Millionen von Servern ausspielte – und nicht wie üblich gestaffelt.
Immerhin für die Kreuzfahrttouristen Valeria Burruni nimmt die IT-Krise ein halbes Happy End. Am Freitagabend nach Mitternacht schreibt sie in einer E-Mail: «Ich bin um 23 Uhr im Hotel in Venedig angekommen. Total kaputt. Es war ein furchtbarer Tag.» Aber: Die Kreuzfahrt kann sie nun doch machen.