Festnahme vor Buch zum Fall Hildebrand
«Weil man mich zum Schweigen bringen will»

Nächsten Monat erscheint ein Buch über den Fall Hildebrand, verfasst vom Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei. Der IT-Spezialist Reto T., der die umstrittenen Devisengeschäfte des Ex-Nationalbankchefs dokumentierte, fühlt sich von Lei unter Druck gesetzt.
Publiziert: 09.02.2025 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 09.02.2025 um 16:43 Uhr
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Philipp und Kashya Hildebrand: Wegen Dollargeschäften der Ehefrau des damaligen SNB-Präsidenten begann an Weihnachten 2011 die Affäre Hildebrand, die bis heute zu den spektakulärsten politischen Skandalen der Schweiz zählt.
Foto: Sabine Wunderlin
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Peter HossliReporter & Leiter Journalistenschule

Die Festnahme erfolgte am vorletzten Mittwoch. Gegen 19.45 Uhr klingelten Beamte der Kantonspolizei Thurgau an der Tür des IT-Spezialisten Reto T.* (52). Sie durchsuchten sein Haus und brachten ihn in eine Klinik. Zwei Nächte verbrachte er in Isolation.

Auslöser war, wie die Thurgauer Staatsanwaltschaft mitteilt, eine Strafanzeige gegen T.

Es geht dabei um ein Buch, das im März erscheint und einen der spektakulärsten Skandale der Schweizer Politik beleuchtet: den Fall Hildebrand.

Verfasst hat es T.s ehemaliger Anwalt, der Thurgauer SVP-Kantonsrat Hermann Lei (52). Weil T. die Veröffentlichung unterbinden wollte, suchte er Hilfe bei der Justiz. Als er diese nicht erhielt, verlor er die Nerven. «Weil man mich zum Schweigen bringen will», sagt T. zu Blick.

SNB-Präsident Philipp Hildebrand stellt sich am 5. Januar 2012 der Presse. Ihm wurde vorgeworfen, seine Frau habe Dollargeschäfte getätigt und dabei von seiner Währungspolitik profitiert. Es wurde jedoch nie ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet, da er sich nichts zuschulden kommen liess.
Foto: Pascal Mora / Pixsil Blick

Zur Erinnerung: Vor 13 Jahren trat der Präsident der Schweizerischen Nationalbank, Philipp Hildebrand (61), wegen umstrittener Devisengeschäfte seiner damaligen Frau zurück. Die Geschäfte wurden publik, weil Lei Bankauszüge Hildebrands an die «Weltwoche» weitergegeben hatte. Und zwar gegen den Willen von T., der damals bei der Bank Sarasin als Informatiker arbeitete. Im Herbst 2011 erfuhr T. von den Dollar-Transaktionen auf Hildebrands Konto, recherchierte und dokumentierte sie.

Angebot in Herrliberg

Rechtlichen Rat suchte T. bei seinem Anwalt Lei. Der organisierte daraufhin im Dezember 2011 ein Treffen mit alt Bundesrat Christoph Blocher (84), einem Kritiker Hildebrands. SonntagsBlick machte publik, dass Blocher dem Informatiker in seiner Villa in Herrliberg Geld und einen Job angeboten hatte, damit er ihm die Bankunterlagen aushändigt. T. lehnte nach kurzer Bedenkzeit ab und zog sich zurück. Daraufhin fertigte Lei ohne T.s Wissen Kopien der Bankauszüge an und übergab sie der «Weltwoche».

Jahrelang beschäftigte der Fall die Gerichte. Blocher und Hildebrand wurden juristisch nicht belangt, Lei und T. in einigen Punkten wegen Verletzung des Bankgeheimnisses verurteilt.

Ein Buch als Rehabilitation

Das Buch «Blocher, Hildebrand und Widmer-Schlumpf» von Hermann Lei erscheint im März. Es behandelt die Affäre Hildebrand, die an Weihnachten 2011 begann.
Foto: ZVG

Im Juni 2024 nahm Lei erneut Kontakt zu seinem ehemaligen Mandanten auf und begrüsste ihn mit: «Sali Reto». Das Buch könne sie beide rehabilitieren. Er bat T., die Stellen zu überprüfen, in denen er genannt wurde, und begründete dies mit dem Hinweis: «Ich möchte einfach nicht, dass du mit dem, was geschrieben ist, nicht einverstanden bist.»

T. jedoch empfand Leis Angebot als Nötigung und schaltete seine Anwältin ein. Diese erklärte Lei schriftlich, T. wolle nichts mit dem Buch zu tun haben. Er werde es weder lesen noch einzelne Passagen mitgestalten. «Die Geschichte wiederholt sich», sagt T. «Ich darf dem Druck von RA Lei erneut – wie 2011 – nicht nachgeben, obwohl mir bei Nichtteilnahme am Buch inhaltlich Diffamierungen durch ihn drohen.»

Leis Werk trägt den Titel «Blocher, Hildebrand und Widmer-Schlumpf». Die bisher veröffentlichte Kurzbeschreibung empfindet T. als polemisch. Er habe keinen «brisanten Insidertipp» weitergegeben, wie es heisst, sondern lediglich eine rechtliche Frage gestellt. «Damals wie jetzt wollte ich pflichtgemäss öffentlich keine Bankdaten bestätigen, wie Lei das von mir verlangte und jetzt wieder verlangt.» T. weiter: «Ich möchte im Buch nicht als dummer Whistleblower oder generell negativ dargestellt werden.»

Lei wollte mit Blick nicht sprechen. Auf Anfrage schreibt er: «Die angeblich erhobenen Vorwürfe treffen in keiner Art und Weise zu.»

Hilfegesuch bei der Oberstaatsanwaltschaft

Im September und Dezember letzten Jahres wandte sich T. an die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) des Kantons Zürich, die jahrelang mit dem Fall befasst war – er fühle sich von Lei unter Druck gesetzt, das Bankgeheimnis zu verletzen. «Ich finde das skandalös, wenn so etwas ohne staatliche Intervention möglich ist», schrieb er per Mail. Am Tag vor Heiligabend antwortete die OStA mitfühlend: «Wir haben grosses Verständnis für Ihre Situation … Wir werden uns so gut wie möglich unsererseits darum kümmern.»

Seitdem hoffte T. auf rechtliche Massnahmen gegen Leis Buch. Bis zum 29. Januar, dann teilte ihm die OStA mit: «Aus strafrechtlicher Sicht sehen wir derzeit in dieser Sache keinen Handlungsbedarf.» Diese Nachricht stürzte T. in eine psychische Notlage. Er rief bei der Oberstaatsanwaltschaft an, reagierte unwirsch und kritisierte in Mails die SVP, die OSta und Lei. Er schrieb: «Ich habe Todesangst, dass man mich durch Stress hinrichtet.»

Bald darauf nahmen ihn Polizisten fest und liessen ihn in eine Klinik einweisen. Zudem beschlagnahmten sie seine Computer, wie T. sagt: «Siebeneinhalb Monate hat Lei wegen des Buchs Druck auf mich ausgeübt», so T. «Ich reagierte für einen kurzen Moment verzweifelt, weil ich mich nicht gegen das Projekt, den Druck und neue Diffamierungen wehren kann.»

Die Zürcher Staatsanwaltschaft teilt mit, sie habe seit Herbst rund 70 Mails von T. erhalten. «Mehrfach wurde er darauf hingewiesen, dass es seitens der Zürcher Staatsanwaltschaft keine strafrechtliche Handlungsmöglichkeit gibt», schreibt ein Sprecher.

Gefühl der Hilflosigkeit

Reto T. sprach gelegentlich mit Journalisten, gab jedoch nie ein Interview und liess sich nie fotografieren. «Aus Verzweiflung» breche er jetzt sein Schweigen. «Wie kann es sein, dass in der Schweiz die Nötiger geschützt werden und der Genötigte verfolgt wird? So wehrlos wie jetzt haben die mich noch nie gemacht.»

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