Herr Solari, Sie lagen zwei Wochen im Krankenhaus …
Marco Solari: Fast drei.
Was haben Sie erlebt?
Alles begann mit einem Unwohlsein. Zuerst hoffte ich, dass es eine Grippe sei. Als es mir noch schlechter ging, riet mir mein Arzt zum Test. Und dann die Worte: Corona-positiv. Schon ein paar Minuten später stand die Ambulanz vor meiner Tür. Mir gingen Gedanken durch den Kopf: Hoffentlich wird es nicht zu schlimm. Man denkt an die Atemnot, von der man gehört hat, und selbstverständlich an den Tod. Ich wohne in Lugano und wurde nach Locarno ins Spital La Carità gebracht, in meine Festivalstadt –und wurde dort hingeführt, wo ich eigentlich nie hätte eingeliefert werden wollen.
Sie kamen auf die Intensivstation.
Ja. Das ist ein Einschnitt.
Erzählen Sie.
Ich sehe die Ärzte, darunter auch unseren Festivalarzt, Michael Llamas. Er, der sonst immer neben mir unter der Leinwand auf der Piazza steht, falls einem unserer prominenten Gäste etwas zustossen sollte. Ein bekanntes, liebes Gesicht. Mir verschaffte es eine gewisse Erleichterung. Dann liegt man im Bett, es geht einem immer schlechter. Die Knochen und der Körper werden eins mit dem Bett – so schwer fühlt sich das an. Man sieht rechts und links Betten mit Patienten. Sie sind intubiert, Menschen, die vielleicht sterben werden.
Was empfindet man in einer solchen Situation?
(Solari ringt nach Worten) Einerseits ist man dankbar, dass sich die Ärzte und Pfleger so gut um einen kümmern. Gleichzeitig registriert man jede Geste und jedes Wort, das in der Intensivstation gesprochen wird. Auch die Diskussion, ob ich intubiert werden soll oder nicht. Zugleich verliert man das Zeitgefühl.
Sie hatten den Tod vor Augen?
Selbstverständlich. Mir ging ein Gedicht von Fontane durch den Kopf: «Immer enger, leise, leise ziehen sich die Lebenskreise. Schwindet hin, was prahlt und prunkt. Schwindet hoffen, hassen, lieben, Und ist nichts in Sicht geblieben als der letzte dunkle Punkt.» In der Ambulanz dachte ich noch an meine Frau Michaela, an meine Söhne, an meine Enkel, die so an ihrem Grossvater hängen, an das Festival und was ich noch alles hätte anordnen müssen. In der Intensivstation lässt man sich gehen. Plötzlich ist alles, was vorher wichtig war, Familie, Freunde, Festival, Literaturtage am Monte Verità, alles, was man gemacht hat oder nicht gemacht hat – es ist nicht mehr wichtig. Es gibt den Satz bei Shakespeare: «Ich vergebe allen und ich bitte alle um Vergebung.» Die Leute neben mir sterben, und ich bin inmitten dieser Gemeinschaft. Ich verspüre keine Todesangst. Nur eine enorme innere Ruhe.
Aber Sie überlebten!
Irgendwann realisiert man: Die Sichel hat mich nicht getroffen, aber ich habe ihr Zischen gehört. Plötzlich ist man wieder wach und denkt nur: raus, raus aus diesem Raum! Dann kommt man in ein Zimmer im Krankenhaus – und fühlt sich darin wie im Paradies! Der Himmel ist so blau und der Garten so grün, und nachts schaut man sich die Sterne an.
Ist Ihre Sicht auf das Leben anders geworden?
Es ist ein Aufschub, den ich geschenkt bekomme. Das Wort Endlichkeit ist kein leerer Begriff mehr.
Wie erleben Sie diesen Aufschub?
Alles ist intensiver. Unser Zeitgefühl besteht ja aus gemessener Zeit und erlebter Zeit. Diese Zeit will ich jetzt nicht mehr verschenken, sondern jede Minute stärker erleben. Ich weiss, dass ich die mir übrig gebliebene Zeit gut verwenden muss – aber nicht im egoistischen Sinne! Es geht nicht darum, die bessere Flasche Wein zu öffnen. Es geht darum, etwas zurückzugeben. Der Sinn des Lebens ist Geben, nicht Nehmen. Doch es gibt noch etwas.
Bitte.
Ich spüre ein enormes Mitgefühl für all jene, die es nicht geschafft haben. Und eine enorme Dankbarkeit für das Pflegepersonal und die Ärzte. In La Carità sind sehr viele Grenzgänger aus dem nahen Italien. Ich habe diese jungen Menschen erlebt, von den Pflegern bis zum Putzpersonal. Sie haben gelacht, sich gegenseitig aufgestellt und manchmal sogar gesungen. Wann habe ich zuletzt Menschen singen gehört?! Diese Menschen bringen das Leben in die Spitalzimmer zurück. Die andere Empfindung ist vielleicht nicht rational erklärbar.
Welche?
Es ist fast ein Schuldgefühl: Ich habe es geschafft – aber die Frau, die links neben mir lag, nicht. Sie hat Angehörige, genauso wie der Mann, der rechts neben mir lag. Dieses Schuldgefühl habe ich auch als öffentliche Person. Wenn ich die Todesanzeigen anschaue und mir vorstelle, was die Angehörigen denken: Er hat es geschafft und meine Mutter, Grossmutter oder mein Vater, Grossvater nicht. Warum? Die Freude, wieder am Leben zu sein, ist nicht ganz ungetrübt.
Wie verändert die Krise das Verhältnis zwischen Tessin und Deutschschweiz?
Wir haben grosses Glück, dass wir ein Kanton, ein Teil dieses Landes sind. Was uns seit 1803 verbindet, ist die gemeinsame politische Kultur. Unser Verhältnis bestand und besteht immer aus vielen Gleichgewichten. Wenn ein Gleichgewicht gestört wird, gibt es sogleich die Korrektur. Wir müssen jetzt aber auch an unsere Nachbarn denken. Italien leidet unsäglich. Meines Erachtens braucht es unbedingt einen Akt der Solidarität, wie wir es mit Frankreich bewiesen haben, indem man Patienten aus dem Elsass in Schweizer Spitälern aufgenommen hat.
Kann denn die Schweiz Italien derzeit etwas bieten?
Italien steuert auf eine Katastrophe zu. Wirtschaftlich und sozial. Wenn die Schweiz jetzt nicht Herz – und Kopf – zeigt, dann ist eine enorme politische Chance vertan.
Was soll denn konkret unternommen werden?
Ich bin kein Politiker. Ich sehe nur den Wert, den jede Geste in der italienischen Öffentlichkeit jetzt hätte. Aber wahrscheinlich bräuchte es seitens der Schweiz mehr als nur ein Symbol. Ich habe Vertrauen in unseren Bundesrat. Ich bin überrascht, wie hochnäsig die nordischen Länder der EU mit Italien und auch Spanien umspringen. Wenn sie weiterhin Klischees von den faulen Südländern bemühen, strapazieren sie den europäischen Gedanken auf gefährliche Art und Weise.
Hat Ihre Erkrankung Auswirkungen auf Ihr Engagement für das Filmfestival Locarno?
Der Kapitän gehört auf das Schiff. Punkt. Wie und ob das Festival dieses Jahr stattfinden wird, hängt aber von diversen Faktoren ab – die allgemeine Lage, die behördlichen Verfügungen, die finanziellen Möglichkeiten dank Sponsoren und Partnern, die Grenzschliessungen, schliesslich unsere eigenen Deadlines. Denn wir sind kein Motorbötchen, das rasch die Richtung ändern kann, sondern ein Ozeandampfer. Der Verwaltungsrat und die künstlerische und operative Direktion arbeiten eng zusammen. Doch wir spüren, wie uns die Zeit davonläuft.
Sie haben im Dezember angekündigt, noch mindestens zwei Jahre für das Festival da zu sein. Bleibt es dabei?
Ich sehe keinen Anlass für grosse Änderungen des Zeitplans, zumindest nicht in dieser Krisensituation. Gleichzeitig ist mir immer bewusst: Ein würdiger Abgang ist ebenso wichtig wie ein kraftvoller Anfang.
Marco Solari (76) war Tessiner Tourismusdirektor, Delegierter des Bundesrats für die 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft und von 1997 bis 2004 Vize-Konzernchef von Ringier. Seit 2000 ist Solari Präsident des Filmfestivals von Locarno.
Marco Solari (76) war Tessiner Tourismusdirektor, Delegierter des Bundesrats für die 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft und von 1997 bis 2004 Vize-Konzernchef von Ringier. Seit 2000 ist Solari Präsident des Filmfestivals von Locarno.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.
Gerade in der Grippesaison kann man selber nur schwer einschätzen, ob man am Coronavirus erkrankt ist oder ob man einfach eine gewöhnliche Grippe hat. Die Unterschiede sind fein, aber es gibt sie. Blick klärt auf.
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch
Empfehlungen des Bundesamtes für Gesundheit, wie Sie sich selbst schützen können:
Hygienemassnahmen
- Hände regelmässig mit Wasser und Seife waschen und/oder Desinfektionsmittel nutzen.
- Nicht in Hände niesen oder husten, sondern Taschentuch oder Armbeuge nutzen. Taschentücher anschliessend sofort korrekt in geschlossenem Abfalleimer entsorgen.
- Bei Fieber und Husten zwingend zu Hause bleiben.
Kontakt minimieren
- Zu Hause blieben und Kontakte mit Personen möglichst minimieren. Nur in Ausnahmesituationen aus dem Haus gehen: Lebensmittel einkaufen / Arzt- oder Apothekenbesuch / Homeoffice ist für Ihre Arbeit nicht möglich / Sie müssen anderen Menschen helfen. Kontakt mit Personen vermeiden, die Atembeschwerden oder Husten haben.
- Wichtig: Keine Begrüssungsküsschen, keine Umarmungen, kein Händeschütteln.
- 2 Meter Abstand zu Mitmenschen halten, beispielsweise beim Anstehen oder bei Sitzungen.
- Öffentliche Verkehrsmittel meiden und Lieferdienste nutzen.
-
Bei Symptomen (Atembeschwerden, Husten oder Fieber) nicht in die Öffentlichkeit gehen und umgehend – unbedingt zuerst telefonisch – eine Ärztin, einen Arzt oder eine Gesundheitseinrichtung kontaktieren.
Informiert bleiben
- An die Regeln und Ansagen der Behörden halten. Infoline Coronavirus: 058 463 00 00, Info-Seite des BAG: bag-coronavirus.ch