Man kennt sie von Strandverkäufern in den Ferien: «Chanel»-Taschen für 40 statt 4000 Franken. Die Wahrheit springt ins Auge, wenn man genauer hinsieht: Billigmaterialien und unsaubere Nähte verraten den Fake.
Fälscher arbeiten schnell und hochwertig
Zumindest war es einmal so. Neuerdings scheint die Entwicklung besonders hochwertiger Taschenfälschungen explosionsartig zu verlaufen: In der Herstellung um einiges teurer als gewöhnliche Nachbildungen, sind sie auch schwerer als solche zu erkennen. Auf ihrem Leder sind gefälschte Seriennummern eingraviert, die Kartons, in denen die Artikel fein säuberlich verpackt sind, sehen aus wie die von echten Marken. Besonders absurd: Häufig erhalten Käufer sogar eine – gefälschte – Echtheitsbescheinigung!
Die Produzenten arbeiten schnell: Gefragte neue Modelle bieten sie noch innerhalb der gleichen Saison als Fälschungen an. Deren Kaufpreise liegen höher als auf dem Basar, bleiben aber deutlich günstiger als an Zürichs Bahnhofstrasse: meist zwischen 200 und 600 Euro. Ein Grossteil der Produkte stammt aus der südchinesischen Metropole Guangzhou. Selbst die «New York Times» widmete den «Superfakes» kürzlich einen Artikel.
Viermal so viele Fälschungen am Zoll wie noch 2018
Zahlen des Bundesamts für Zoll und Grenzsicherheit zeigen: Das Phänomen macht vor den Schweizer Grenzen nicht halt. In den vergangenen Jahren gab es einen deutlichen Anstieg bei sichergestellten Fälschungen im Handelswarenverkehr: Am Schweizer Zoll wurden 2022 mehr als 2680 Handtaschen und Portemonnaies zurückgehalten; 2018 waren es lediglich 822 Artikel. Die Dunkelziffer dürfte nicht geringer geworden sein.
In der Schweiz macht sich der Verein Stop Piracy gegen Fälschungen stark. Dessen Vizepräsident Jürg Herren sagt: «Die gefälschten Waren kommen in Zehntausenden von Einzelpaketen per Post oder Kurierdienst in die Schweiz. Das Aufspüren von Fälschungen wird damit zum Finden einer Nadel im Heuhaufen.» Aufgrund der starken Zunahme gefälschter Artikel hat der Bundesrat im April einen Vorschlag für eine Gesetzesrevision ans Parlament überwiesen. Fake-Produkte, die in Kleinsendungen in die Schweiz gelangen, sollen dank eines neuen Verfahrens einfacher vernichtet werden können.
Online-Handel vereinfacht den Verkauf von Fälschungen
Ein Grund für den Fake-Boom: Die Pandemie hat das Wachstum des Online-Handels stark beschleunigt. «Betrüger haben bestehende, seriöse Online-Shops kopiert», sagt Patricia van Dam. Sie ist Geschäftsführerin von «Luxury for you», einem Vintage-Luxusgeschäft, das mitunter für Behörden Markenartikel auf deren Echtheit prüft: «Die Hemmschwelle, über das Netz auch teure Artikel zu kaufen, hat abgenommen. Wobei die Kompetenz, eine Seite auf Seriosität zu prüfen, nicht automatisch da ist.»
Einige Maschen sind noch ausgeklügelter. Die «NZZ» berichtete kürzlich über den Fall der 32-jährigen Inhaberin einer Zürcher Luxusmodeboutique, die zwischen April 2021 und April 2022 auf Alibaba gekaufte Taschen in ihrem Geschäft als Luxusprodukte ausgab und vertrieb. Damit erwirtschaftete sie laut Strafbefehl einen Gewinn von mindestens 30'000 Franken.
Qualität der Fälschungen steigt
Dazu Jürg Herren von Stop Piracy: «Wir stellen fest, dass die Qualität gewisser gefälschter Produkte in den letzten Jahren gestiegen ist.» Nicht nur Handtaschen seien betroffen, sondern auch andere Produkte aus dem Luxusbereich wie etwa Uhren. Patricia van Dam: «Die Echtheitsmerkmale der Originale werden stets mehr beachtet. So sind die Nähte bei den Fakes nicht mehr schief und die Grössen der Taschen und Längen der Henkel stimmen überein. Auch bei den Materialien kommt diese Art von Fakes nahe ans Original ran.»
Wer verhindern will, versehentlich im Internet ein falsches Markenprodukt zu erwerben, sollte das Impressum der Website und die Handelsregisternummer prüfen. Van Dam: «Schauen Sie auch, seit wann es die Seite gibt und ob sie einen kostenlosen Echtheits-Check anbietet. Bei Zweifeln nachfragen. Bekommt man eine Antwort? Und wenn ja: Ist diese fundiert? Bietet das Unternehmen Geld-zurück-Garantie und ein Rückgaberecht?» Es könne auch hilfreich sein, Bewertungen genauer anzuschauen. Und: Absolute Superschnäppchen zu zehn Prozent des Marktwertes eines Modells sind stets mit Vorsicht zu geniessen. «Scheint ein Angebot zu verlockend, um wahr zu sein, ist es das meistens auch.»
Fälschungen können die Gesundheit gefährden
Während der Kauf von Nachbildungen früher verpönt war, stehen gerade auf der Online-Plattform Tiktok immer mehr Menschen dazu, Superfakes zu kaufen – als Akt der Gerechtigkeit gegenüber den Luxusgüter-Giganten mit ihren milliardenschweren Spitzenvertretern.
Allerdings reichen die Negativfolgen von Fälschungen über die Verletzung von Markenrechten hinaus bis zu Gewinneinbussen sowie Ausfällen von Steuern und Sozialabgaben, mitunter bis hin zu Gesundheitsrisiken für Konsumenten.
Patricia van Dam: «Fälschungen können Menschenleben gefährden, etwa durch Leder oder Textilien, bei deren Produktion schädliche Chemikalien eingesetzt werden.» Zudem sähen «gute» Fakes zwar mittlerweile den Originalen bestechend ähnlich, doch sei die Qualität in Bezug auf Langlebigkeit trotz aller Mühen weiterhin nicht zu vergleichen. Garantie oder einen After Sales Service gebe es bei Fakes nicht.
Vorsicht ist geboten
Noch alarmierender: «Es gibt Indizien, wonach Superfakes mit Kinderarbeit, Zwangsarbeit und mafiösen Vereinigungen in Verbindung gebracht werden», so Natalie Wenger, Sprecherin von Amnesty International. Die Vereinten Nationen führen Fälschungen als eine der lukrativsten kriminellen Aktivitäten für transnationale organisierte Banden auf.
Laut Jürg Herren ist nicht zuletzt der Umgang mit dem Datenschutz ein Problem: «Wollen Sie wirklich Personendaten wie Namen, Adresse und Kreditkartendaten Kriminellen überlassen?»