Das radikale Netzwerk hinter den Corona-Protesten
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Fanatiker heizen Demos an
Das radikale Netzwerk hinter den Corona-Protesten

Über verschlüsselte Online-Chats heizen Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker die Proteste an. Wer die virtuellen Anführer sind, wie sie vorgehen und warum sie gefährlich sind.
Publiziert: 16.05.2020 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 27.03.2021 um 18:30 Uhr
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Am Samstag demonstrierten in der Schweiz erneut Hunderte Corona-Skeptiker.
Foto: Siggi Bucher
Fabian Eberhard

Die Proteste gegen staatliche Corona-Massnahmen gehen weiter – und enden teils in Tumulten. Berlin, London, Bern: In vielen europäischen Städten gingen am Samstag erneut Menschen auf die Strasse.

Auf dem Zürcher Sechseläutenplatz kam es zu Rangeleien zwischen Demonstranten und der Polizei. 37 Kundgebungsteilnehmer wurden verzeigt. So spontan der Ausbruch des «Widerstands» auch scheint, zufällig ist er nicht. Im Hintergrund agieren fanatische Verschwörungstheoretiker. Sie heizen die Proteste gezielt an und wiegeln Verunsicherte gegen den Staat auf. Ihr Ziel: der Kampf gegen die angebliche «Elite» – und deren Sturz.

Kommunikation über Telegram

SonntagsBlick schleuste sich in Onlinegruppen der neuen Bewegung ein. Als Operationsbasis dient ein Chat auf dem verschlüsselten Messenger-Dienst Telegram.

Unter der Bezeichnung «Corona-Rebellen» tauschen knapp 2000 Mitglieder auf diesem Weg wilde Verschwörungstheorien aus, planen Aktionen und machen Stimmung gegen ihre Feinde: Wissenschaftler, Journalisten, Politiker.

Für die sogenannten «Aktionsräume» Bern, Zürich und Ostschweiz existieren kleinere Untergruppen.

Es ist ein krudes Gemenge, das sich da zusammengefunden hat. In den Chats schreiben radikale Impfgegner, esoterische Globalisierungskritiker, Evangelikale und Rechtsextreme. Was die unheimliche «Querfront» eint, ist die Überzeugung, dass sich «die Herrschenden» gegen «das Volk» verschworen haben – und dass nur wenige das abgekartete Spiel durchschauen.

«Lügenpresse-Schmierer!»

Verschwörerisch operiert jedoch vor allem die neue Bewegung selbst. Journalisten, die mit den Organisatoren der Telegram-Gruppen reden möchten, werden abgewimmelt – teils gar bedroht. Auf eine Anfrage des SonntagsBlicks folgen Beschimpfungen wie «Volksverräter», «satanistische Schreibhure» oder «Schleich dich, du Lügenpresse-Schmierer!».

Die Medien lügen, darüber sind sich die selbst ernannten Rebellen einig. Und müssen deshalb sabotiert werden. Dafür haben die Hintermänner die Telegram-Gruppe «Mainstream-Medien spammen» gegründet. Dort posten sie ausgewählte Artikel grosser Nachrichtenportale, deren Kommentarspalten die Mitglieder dann gezielt mit Verschwörungstheorien volltexten.

Doch wer steckt hinter diesen Desinformations-Kampagnen? Wer heizt die Proteste im Internet an? Die meisten der virtuellen Anführer agieren als anonyme Administratoren der Telegram-Gruppen. SonntagsBlick hat ihre wahre Identität ausfindig gemacht.

«Chief» ist ein Fitnessmodel

Kopf des Netzwerks ist M. R.*, ein Fitnessmodel aus dem Kanton Zürich. Auf Telegram tritt die Verschwörungstheoretikerin mit dem Pseudonym «Elvetia» in Erscheinung. Sie hat den Hauptchat der Corona-Rebellen gegründet und bezeichnet sich selbst als «Chief» der Gruppe.

Mit den Recherchen konfrontiert, blockt R. ab. Sie sagt nur: «Ich biete den Mitmenschen eine unabhängige Plattform, wo sie sich frei und kritisch über das aktuelle Geschehen äussern können.» Als «Chief» äussert sich S. regelmässig auch selbst – etwa zum Holocaust. Es seien nicht sechs Millionen Tote gewesen, schreibt sie. «Die meisten Toten waren Deutsche, die sich ergeben hatten.» Fälschungen dieses Kalibers dürften auch einem der Mitstreiter von S. gefallen: Ignaz Bearth. Der St. Galler Rechtsextremist gehörte schon zu den treibenden Kräften hinter der rassistischen Bewegung Pegida, mehrmals trat er als Redner an den inzwischen verebbten Aufmärschen in Dresden auf.

Im Rebellen-Chat wird er nun als «Ehrengast» geführt. Auch er hat Administratorenrechte. Das heisst, er darf Nachrichten löschen oder Chat-Teilnehmer rausschmeissen. Fast täglich verbreitet Bearth rechte Propaganda und macht Werbung für bevorstehende Corona-Aufmärsche.

Am Samstag postete er ein Video, in dem er euphorisch verkündet: «Das Regime hat Angst, heute könnte die Revolution beginnen.» Wenig später wurde er an der Demonstration in Bern verhaftet.

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«Justicia» oder «Wilhelm Tell»

Neben dem Fitnessmodel R. und dem Rechtsextremisten Bearth werden die Gruppen von etwa einem Dutzend Administratoren verwaltet. Sie tragen Pseudonyme wie «Waschechter Eidgenosse», «Justicia» oder «Wilhelm Tell».

Zum Kern der virtuellen Wortführer gehört auch M. B.*, laut eigenen Angaben «digitaler Soldat» und «spirituell erwacht». Auf eine Anfrage des SonntagsBlicks reagiert er mit aggressiven Sprachnachrichten.

Viele der Chat-Mitglieder radikalisierten sich in den letzten Wochen zusehends. Sie sind überzeugt davon, dass Geheimgesellschaften die Corona-Krise ausnutzen, um eine autoritäre neue Weltordnung zu errichten. Oder dass der Microsoft-Gründer Bill Gates die Weltbevölkerung zwangsimpfen will und dabei Mikrochips unter die Haut der Geimpften pflanzt, um sie zu überwachen. Die Chatter zeigen sich mit jedem Tag entschlossener, dagegen anzukämpfen.

Verbindung zu QAnon-Szene

Die Spuren der Onlinedrahtzieher führen direkt in die gefährliche QAnon-Szene. QAnon ist ein Onlineverschwörungmythos aus den USA, der zunehmend in rechten Kreisen Europas Verbreitung findet. Er besagt, dass ein mit den höchsten Kreisen verknüpfter Geheimbund Tausende entführter Kinder in Tunnelsystemen gefangen hält, sie missbraucht und ihnen dabei Blut abzapft, das dann für ein ausschliesslich der verhassten Elite vorbehaltenes Serum zur Lebensverlängerung verwendet wird.

Der Name QAnon geht zurück auf «Q». So nannte sich ein anonymer User – deshalb «Anon» – auf der Internetplattform 4chan, als er sich im Oktober 2017 als hochrangiger Regierungsbeamter ausgab und seine Theorie in die Welt setzte. Die Anhänger der Bewegung glauben, dass Präsident Donald Trump («Q+») ein «weisser Krieger» sei und mithilfe des Militärs daran ist, diesen «Deep State» zu zerschlagen.

Man könnte diese Horrorgeschichten als hanebüchenen Schwachsinn abtun, wenn die Erzählung nicht konkrete Folgen hätte. Die rechtsextremen Attentäter von Halle (D) und Hanau (D) etwa wiesen Bezüge zur QAnon-Szene auf. Auch in den USA haben QAnon-Fanatiker bereits eine ganze Reihe von Gewalttaten verübt.

Der bekannteste Fall ist der Anschlag auf die Tree-of-Life-Synagoge in Pittsburgh im Oktober 2018. Der Attentäter tötete elf Gläubige. Er war Neonazi – und QAnon-Anhänger. Ein halbes Jahr später warnte das FBI in einem internen Bulletin vor Menschen, die durch Verschwörungstheorien zu Terroristen werden.

Aufruf zu friedlichen Kundgebungen

Wie sehr Radikale die Proteste in der Schweiz bereits vereinnahmt haben, liess sich an den Samstagsdemonstrationen ablesen. Verschwörungstheorien und das grosse Q für QAnon waren auf T-Shirts und Schildern allgegenwärtig, deutliche Zeichen dafür, dass sich Ideologien demokratiefremder Milieus Bahn brechen – und auch hierzulande offene Ohren finden.

Immerhin: Noch rufen die virtuellen Führer in der Schweiz ausdrücklich zu friedlichen Kundgebungen auf. Ganz anders in Deutschland, wo sich die Anführer der Proteste teils offen militant geben. So zum Beispiel der prominente Vegankoch Attila Hildmann. Er drohte mit Waffengewalt und kündigte an, er gehe jetzt in den Untergrund, um gegen das «Regime» zu kämpfen. Dafür sei er bereit, «Kopfschüsse zu kassieren».

In den USA sind bewaffnete Anti-Lockdown-Proteste bereits Realität. In Michigan drangen Trump-Anhänger sogar mit Gewehren ins Parlamentsgebäude ein. Der Präsident höchstpersönlich stachelte sie über Twitter dazu an.

*Namen der Redaktion bekannt
Coronavirus

Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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Europa atmet wieder, Krisenmodus im Rest der Welt

Im April vermeldete die WHO, Europa sei im Kampf gegen das Coronavirus womöglich «über den Berg». Tatsächlich: In den vormaligen Krisenherden Italien und Spanien ist die Anzahl aktiver Fälle rückläufig. Bilder von überfüllten Spitälern weichen einer vorsichtigen Rückkehr zur Normalität. Von einer globalen Entspannung kann aber nicht die Rede sein. Weltweit sind bereits über 4,5 Millionen Fälle gemeldet. 300'000 Todesopfer forderte Covid-19 bereits. Gut ein Drittel davon allein in den USA. Und weltweit kommen täglich noch immer gut 100'000 Neuinfektionen hinzu. Nebst den USA insbesondere in Schwellenländern: Russland (fast 300'000 Fälle), Brasilien (etwa 250'000 Fälle) oder auch Mexiko (50'000 Fälle) warten noch immer auf Entspannung. Und im chinesischen Wuhan, wo die Pandemie ihren Lauf nahm, ist wieder Nervosität zu spüren. Nachdem es seit März kaum mehr Neuansteckungen gab, kämpfen die Gesundheitsbehörden wieder mit Infektionsherden. Die Gefahr ist noch nicht gebannt.

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