Seit 13 Jahren verkauft die Schweizerische Blinden- und Sehbehindertenwerkstatt (SBSW) in Brig VS Produkte, die angeblich von Blinden hergestellt werden – zu erhöhten Preisen, da es ein soziales Projekt sei. BLICK deckte gestern auf: In der Blinden-Werkstatt arbeiten gar keine Blinden!
In Brig werden auch nur Bürsten und Besen hergestellt. Frotteetücher, Teelichter und Computer-Reinigungssets, die ebenfalls im 18-seitigen Katalog der Blindenwerkstatt angeboten werden, importiert die SBSW aus Deutschland und Österreich. Die Blindenwerkstatt ist eine GmbH. Im Besitz von drei deutschen Brüdern.
Lerchen-Osterhasen waren aus verleimtem Kiefer
Andreas Ritler (62) kennt die Tricks der Firma. Der Walliser arbeitete fünf Jahre als Produktions- und Werkstattleiter in der SBSW in Brig. Er war auch Ausbildner der Bürstenmacher. «Ich wehrte mich, dass die Artikel aus Deutschland kamen und dann hier als Schweizer Produkte, die von Blinden hergestellt sein sollen, verkauft werden.»
Ritler reiste mehrmals nach Deutschland, um dort Produkte herzustellen. «Wir machten Osterhasen und Hirsche, die als Lärchenholz verkauft wurden. Tatsächlich waren die Artikel aus verleimtem Kiefer.»
Auch Weihnachtsbeleuchtung habe er in Deutschland gemacht. «All diese Artikel wurden dann in Hunderten von Kisten abgepackt und in die Schweiz verfrachtet. Als ich in Deutschland vor Ort war, arbeitete auch dort kein einziger Blinder. Als ich mich über diese Geschäftspraktiken beschwerte, hat mir der deutsche Geschäftsleiter Michael B.* fristlos gekündigt.»
Kanton kündigt endlich Kontrolle an
Die Direktion für Wirtschaftsentwicklung des Kantons Wallis stellte 2005 eine schriftliche Empfehlung für die SBSW GmbH aus. Mit der noch heute auf der Webseite geworben wird. «Das ist sehr bedauerlich», sagt jetzt Joyceline Pepin, zuständig für neue Firmen im Wallis. «Wir werden dem natürlich nachgehen und die Blindenwerkstatt besuchen. Wir werden auch prüfen, ob der Betrieb noch mit unserer Empfehlung von 2005 Werbung macht und die geeigneten Massnahmen ergreifen.»
Bei der Empfehlung vor 13 Jahren seien alle Kriterien erfüllt gewesen. «Ein Betrieb wird entsprechend seiner Bedürfnisse üblicherweise zwei bis drei Jahre nach dem Start begleitet und anschliessend bei Bedarf unterstützt», sagt Pepin. «Bei der Blindenwerkstatt fand der letzte Kontakt am 27. Juni 2006 per Mail statt. Dabei ging es um eine Arbeitsbewilligung.»
Der nationale Blindenbund prüft rechtliche Schritte
Die Regionalgruppe Wallis (RGW) des Schweizerischen Blindenbundes ist mit 20 Prozent an der Blindenwerkstatt GmbH beteiligt. Der nationale Verband will nichts mit der Firma in Brig zu tun haben. «Letztmals haben wir 2015 die SBSW GmbH aufgefordert, unseren Namen aus allen Online- und Print- Publikationen zu löschen», sagt Geschäftsführer Jvano Del Degan zu BLICK. «Wir werden sicher rechtliche Schritte gegen die SBSW GmbH prüfen.»
Von der Regionalgruppe distanziert er sich nicht. «Die RGW leistet gute Arbeit. Die Gewinnausschüttungen aus der SBSW GmbH werden ausschliesslich für Betroffene im Oberwallis eingesetzt.» Nun müsse aber die Beteiligung an der Firma hinterfragt werden.
Von der Regionalgruppe wollte niemand Stellung nehmen. «Die Blindenwerkstatt organisiert am Donnerstag einen Tag der offenen Tür. Es gibt auch eine Stellungnahme», sagt Ernst Lochmatter von der Regionalgruppe Wallis des Schweizerischen Blindenbundes.