Extrem-Bergsteigerin Evelyne Binsack (48) kritisiert Nepals Regierung
«Wo sind die Millionen an Spenden hin?»

Die Naturkatastrophe in Nepal erinnerte Evelyn Binsack an ein Versprechen, das sie dort vor 16 Jahren einem kleinen Mädchen gemacht hatte: Sie versprach, zurückzukommen und ihrem Land zu helfen. Diesem Versprechen kam sie jetzt nach.
Publiziert: 29.07.2015 um 16:43 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:43 Uhr
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Binsack mit Yangjee Sherpa aus Khumjung, deren Haus beim ersten Erdbeben zerstört wurde.
Foto: ZVG
Von Flavia Schlittler

Es sind berührende Begegnungen, die Evelyne Binsack (48) zurzeit in Nepal erlebt. «Mit wie viel Ruhe die Menschen hier durchhalten, bewegt mich tief», sagt die Extrem-Bergsteigerin. Es ist ihre neunte Reise nach Nepal, doch diesmal hat sie ein neues Ziel: den Menschen zu helfen.

«Nach dem ersten Erdbeben am 25. April 2015 hat in der Schweiz auch mein Herz gebebt», sagt Binsack. Es habe sie an ein Versprechen erinnert, das sie vor 16 Jahren einem fünfjährigen Mädchen gab. «Sein Vater schickte es los, um nach Geld zu ­betteln. Ich hatte aber nichts dabei. So versprach ich, zurückzukommen und ihrem Land zu helfen.»

Selbstkritisch ergänzt die Bernerin: «Ich kam danach oft zurück – aber nur, um meine Leistungen voranzutreiben.» Erst durch die Naturkatastrophe erinnerte sie sich wieder an die Begegnung mit dem kleinen Mädchen mit den schwarzen, mandelförmigen Augen. In den letzten Monaten hat die Bernerin durch die sozialen Medien und bei ihren Vorträgen Spenden gesammelt, «und meine Bekannte Kathrin Imobersteg hat Pullöverchen und Käppli für die ganz Kleinen gestrickt».

Diese hat die Bergführerin nun nach Nepal zu einem Kinderhilfswerk gebracht. «Die Kleinen wurden von ihren Müttern abgegeben, weil sie zu arm sind, um sich um sie zu kümmern.» Binsack ist froh, dass sie mit dem Spendenkonto «Direkthilfe Erdbeben Nepal» viel leisten kann. «Wir haben vier Projekte am Laufen.» So auch den Dachbau für ein Altersheim.

Es würde so viele elementare Arbeiten geben, die längst hätten gemacht werden müssen. Entsprechend machen Binsack die Erfahrungen vor Ort auch wütend. Ausländische Hilfswerke würden zwar Grosses bewirken. Aber: «Es ist tragisch, dass die Regierung fast nichts für die Bevölkerung tut. Wo sind nur all die Millionen an Spendengeldern hin? Jedenfalls nicht dort, wo sie wirklich benötigt werden.»

Nicht einmal Zelte hätten die nach dem Erdbeben Obdachlosen von der Regierung bekommen. Sie mussten stattdessen selber Notunterkünfte aus Bambusstäben, Blachen und Plastik bauen. «Ausser ein paar Wellblechtoiletten und Wassertanks sowie teils vergammeltem Reis wurde nichts geliefert», beklagt Binsack, die als erste Schweizerin in Nepal den höchsten Berg der Welt erklomm, den Mount Everest (8848 m ü. M.).

Sie wird wieder nach Nepal reisen. «Mich beeindrucken die Dankbarkeit und die Geduld der Menschen. Sogar in grösster Not versuchen sie, ihre Fröhlichkeit zu bewahren. Ich werde wiederkommen, um zu helfen.»

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