Experten wettern über Antikörper-Zertifikate des Bundes
Im besten Fall nutzlos, im schlechtesten gefährlich

Hunderttausende haben sich seit November ein Corona-Zertifikat ausstellen lassen, das auf einem positiven Antikörpertest basiert. Blick-Recherchen zeigen: Diese Zertifikate sind nutzlos und gefährlich. Experten fordern die sofortige Abschaffung.
Publiziert: 13.01.2022 um 08:55 Uhr
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Aktualisiert: 13.01.2022 um 11:09 Uhr
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Bei positiven Antikörpertests erhält man seit Mitte November ein Corona-Zertifikat, das dieselben Rechte erteilt wie ein Genesenen-Zertifikat. Das Interesse ist riesig. Die Kritik am Zertifikat ebenfalls.
Foto: keystone-sda.ch
Fabian Vogt

Seit dem 16. November gibt es bei positiven Antikörpertests ein Corona-Zertifikat. Gültigkeitsdauer: drei Monate. In dieser Zeit sind die Zertifikatsträger gleichgestellt mit Genesenen, können also auch an 2G-Veranstaltungen teilnehmen. Die Nachfrage ist riesig: Über 200’000 solcher Zertifikate wurden bisher ausgestellt, teilt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit. Blick-Recherchen zeigen nun: Diese Zertifikate sind aus mehreren Gründen nicht nur nutzlos, sondern sogar gefährlich.

So funktioniert ein Antikörpertest
1:35
Blick macht den Selbstversuch:So funktioniert ein Antikörpertest

Didier Trono, Virologe an der EPFL in Lausanne und Vorsitzender der Expertengruppe Diagnostics and Testing der Corona-Taskforce des Bundes, fasst die Situation wie folgt zusammen: «Ein Covid-Zertifikat auf der Grundlage aktueller Antikörpertests auszustellen ist so, als würde man ein Sprachzertifikat für Mandarin erhalten, weil man einmal in China war.»

Wildwuchs bei den Tests

Die Antikörpertests sind nicht reguliert. Im Internet gibt es eine Unmenge von Anbietern, die alle unterschiedliche Werte angeben, ab wann ein Resultat positiv ist. Das sorgt nicht nur für viel Verwirrung, sondern je nach Anbieter auch für eine sehr einfache Möglichkeit, an ein Zertifikat zu gelangen. Kommt hinzu, dass die Tests unterschiedlich ausgeführt werden. An einigen Orten wird anhand venöser Blutentnahme analysiert, woanders reicht ein Piks in die Fingerkuppe.

Schon Ende November bat darum Philipp Walter, Präsident der Union für Labormedizin, in einem besorgten Brief ans BAG und die kantonalen Gesundheitsämter, doch bitte «die fragwürdigen Entwicklungen im Interesse der Glaubwürdigkeit und Professionalität der Labormedizin unter Kontrolle zu bringen». Passiert ist bisher kaum etwas. Swissmedic sagt, nur zertifizierte Labore prüfen zu können und dort bisher keine Verstösse festgestellt zu haben. Für die Kontrolle der Zertifikate sind die Kantone zuständig, doch die Möglichkeiten sind beschränkt. Walter verteidigt die Behörden, sagt, die hätten getan, was sie konnten. Nun sei es an der Politik, «dieses verwirrliche Element zu eliminieren».

Falsche Antikörper gemessen

Kritisiert wird nicht nur, wie gemessen wird, sondern auch, was gemessen wird. Es gibt nämlich Antikörper, die vor einer erneuten Corona-Infektion schützen, und solche, die das nicht tun. Viele der derzeit genutzten Tests ignorieren diese Tatsache und geben nur den Messwert aus. Das Universitätsspital von Lausanne und die EPFL haben kürzlich einen Test entwickelt, der schnell zwischen «guten» und «schlechten» Antikörpern unterscheiden soll. In einer Studie wird dieser derzeit validiert. Die Hoffnung: Basierend auf den Ergebnissen könnte die künftige Verabreichung von Boostern oder modifizierten Impfstoffen nach dem Profil potenzieller neuer Varianten ausgerichtet werden, sagt Didier Trono. Ein Arzt wird dann den Test sehen und wissen, dass der Patient beispielsweise gegen Delta und Alpha, nicht aber gegen Omikron geschützt ist.

Antikörper sagen zudem nichts über den Schutz vor einer Corona-Infektion aus. Denn die Ansteckung kann vor zwei Monaten oder vor zwei Jahren passiert sein. Man weiss heute lediglich, dass die Antikörpermenge innert Monaten deutlich weniger wird. «Ob aber der Nachweis überhaupt wieder negativ wird, ist vom Testverfahren abhängig, aber auch von der Immunreaktion in der einzelnen Person», sagt Philipp Walter dazu.

So verteidigt sich das BAG

Es gibt diverse Gründe, die dazu führen, dass Personen, die mit einem Antikörper-Zertifikat herumlaufen, nicht vor einer Infektion geschützt sind. Trotzdem dürfen sie überallhin, wo Geimpfte und Genesene auch sein können. Und setzen somit sich und andere einer Gefahr aus. Das BAG verteidigt die Antikörper-Zertifikate folgendermassen: «Entscheidend ist, ob man eindeutig nachweisen kann, dass ein Kontakt mit dem Virus vorhanden war.» Doch die Corona-Strategie der Schweiz hat eigentlich ein anderes Ziel: Personen vor einer Infektion zu schützen. Darauf angesprochen, schickt die Behörde zwei Studien, die «in Rücksprache mit Expertinnen und Experten mit dafür ausschlaggebend waren, dass mittlerweile davon ausgegangen wird, dass eine vorhergehende Infektion einen besseren Schutz vermittelt als zuvor angenommen».

Mit dieser Meinung steht das BAG allerdings ziemlich alleine da. Das Antikörper-Zertifikat ist nur in der Schweiz gültig. Und ob man beim Bund so extrem von diesen Studien überzeugt ist, dass die Sicherheit von Hunderttausenden aufs Spiel gesetzt wird, ist ebenfalls fraglich. Denn das Amt schiebt nach: «Das BAG empfiehlt nicht, einen Antikörpertest für Genesenenzertifikate zu machen – dies wurde lediglich aufgrund der Evidenz ermöglicht.»

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