Daniel Hell (75) arbeitete viele Jahre als ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) und Professor für klinische Psychiatrie. Nach seiner Pensionierung ist er weiterhin als Psychiater und Psychotherapeut tätig. Hell verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, der das soziale Umfeld für die Entstehung von Krankheiten mitverantwortlich macht.
Herr Hell, jüngste Zahlen zeigen: Psychopharmaka werden vermehrt von Nicht-Psychiatern verschrieben. Was halten Sie davon?
Daniel Hell: Die Verschreibung etwa von Antidepressiva durch Hausärzte halte ich in manchen Fällen für sinnvoll, zum Beispiel bei leichteren Depressionen mit Schlafstörungen. Sehr problematisch finde ich aber ein vorschnelles Verschreiben ohne vertiefte Gespräche, ohne Prüfung von Behandlungsalternativen oder Selbsthilfemassnahmen. Dazu gehören Entspannungsübungen, Massage oder Sport.
Warum ist das Verschreiben durch andere Ärzte so heikel?
Es gilt, Wirkung und Nebenwirkungen von Psychopharmaka gegeneinander abzuwägen. So sollte die längere Behandlung mit Antidepressiva von einem Psychiater angeordnet werden. Denn was kurzfristig den Leidensdruck vermindert, kann bei langfristiger Einnahme die Lebensqualität verschlechtern und zu weiteren Komplikationen führen.
Dennoch werden zunehmend Antidepressiva verschrieben.
Meine Einschätzung ist, dass Antidepressiva heute viel zu häufig verordnet werden und zu einer unnötigen Komplikationsrate führen. In der Bevölkerung, aber teilweise auch bei Ärzten ist immer noch die früher propagierte Meinung verbreitet, dass Antidepressiva die Ursachen von Depressionen beseitigen können. Sie wirken aber nur auf Symptome.
Was wäre die Alternative zum Einsatz von Medikamenten?
Nachhaltiger wirkt oft eine Psychotherapie. Tatsächlich zeigen die Zahlen der Helsana, dass auch die Zuweisungen an Psychologen für eine Psychotherapie zugenommen haben. Das unterstreicht, dass die Psychotherapie in der medizinischen Versorgung zunehmend einen grösseren Stellenwert bekommt.
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