Die Corona-Krise hat die Schweiz erreicht. Noch vor wenigen Wochen schien das Virus weit weg, nun überschlagen sich die Ereignisse auch hier. Bis Redaktionsschluss dieses SonntagsBlicks lag die Zahl der bestätigten Infektionen mit dem neuen Coronavirus bei 18 Personen, weitere Fälle sind in Abklärung.
Die Lage in Italien macht den Behörden am meisten zu schaffen: Angesichts von bisher 1128 bestätigten Fällen und 29 Todesopfern im südlichen Nachbarland müsse von einer grossen Dunkelziffer ausgegangen werden, sagt Daniel Koch, Leiter Übertragbare Krankheiten beim Bundesamt für Gesundheit. In der Schweiz stehe man daher kurz davor, dass die Lage «ausser Kontrolle» gerate und die Ansteckungswege nicht mehr in jedem Fall zurückverfolgt werden könnten. Bern greift deshalb zu drastischen Massnahmen. Am Freitag verkündete der Bundesrat, dass Anlässe mit mehr als 1000 Teilnehmern ab sofort verboten sind.
Historischer Beschluss
Es ist ein einschneidender Beschluss. Und ein historischer. Abgesagt werden mussten etwa der Genfer Autosalon, der Engadin Skimarathon oder die Basler Fasnacht. Die fand schon einmal nicht statt – vor 100 Jahren, als die Spanische Grippe weltweit 25 bis 50 Millionen Menschen dahinraffte.
So beängstigend diese Parallele auch sein mag – die Behörden rufen zur Ruhe auf; das Verbot von Grossveranstaltungen sei eine reine Vorsichtsmassnahme. «Wir wollen weitere Ansteckungen, so gut es geht, in Grenzen halten», sagt Gesundheitsminister Alain Berset im Interview.
Vorsicht ja, Panik nein – das ist denn auch die Devise einer grossen Mehrheit von Schweizerinnen und Schweizern, wie eine Umfrage des Link Instituts aus den letzten Tagen zeigt. Die repräsentative Erhebung liegt SonntagsBlick exklusiv vor und zeigt: Die meisten Bürger lassen sich von dem grassierenden Virus bisher nicht verunsichern.
66 Prozent der Befragten fühlen sich persönlich nicht oder nur gering bedroht. 24 Prozent stufen die Corona-Gefahr für sich selbst als mittelhoch ein, nur acht Prozent als hoch.
Als etwas besorgniserregender werden die Auswirkungen der Lungenkrankheit auf die Schweiz beurteilt, für den Rest der Welt sogar als dramatisch. Fast jeder Fünfte findet, die Bedrohung für unser Land sei sehr gross. Fast 40 Prozent halten die Bedrohung für die Welt für gross.
Finanzmärkte in der Krise
Tatsächlich sind die Auswirkungen des Virus bereits jetzt real. In Zeiten globaler Produktions- und Lieferketten schlägt eine Pandemie mit voller Wucht von China bis Amerika auf die Volkswirtschaften durch. Abzulesen ist das an den Finanzmärkten. Seit letztem Montag drehen sie weltweit im Krisenmodus. Der Schweizer Leitindex SMI fiel unter die magische Grenze von 10'000 Punkten. «Das ist Panik», meinen erfahrene Börsianer.
«Nach China wird das Virus weitere Volkswirtschaften stilllegen», sagt Adriel Jost, Chefökonom des Beratungsunternehmens Wellershoff & Partners. Und die Schweiz? «Wir sind in keiner komfortablen Situation.»
Hiesige Unternehmen haben rund 1000 Niederlassungen mit etwa 180'000 Angestellten in China. In der Schweizer Produktion werden zahllose chinesische Vorleistungsprodukte verwendet. Firmen wie ABB und Schindler rechnen mit Verlusten, die sie noch nicht beziffern können. Getroffen werden auch die Luxusgüterindustrie, die Uhren- und die Modebranche.
Der Tourismus leidet
Gestern reagierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). «Unternehmen dürfen derzeit Anträge auf Kurzarbeit stellen», erklärte Eric Scheidegger, Leiter Direktion Wirtschaftspolitik, an einer Medienkonferenz.
Der Tourismus leidet ebenfalls: Die Hotellerie verzeichnet bereits jetzt 50 Prozent weniger Gäste aus China. Schweiz Tourismus schätzt den Verlust allein für Februar auf rund 19 Millionen Franken.
Apotheken und Spitäler müssen mit Engpässen bei Medikamenten rechnen, deren Wirkstoffe in China produziert werden.
Aber nicht nur auf der Angebotsseite ist die Schweizer Wirtschaft betroffen. Denn jetzt, wo das Virus im Land ist, verändert sich auch das Konsumverhalten. «Es findet eine Verschiebung statt», sagt Wellershoff-Ökonom Jost. Was er meint: weniger Restaurant- und Kinobesuche, dafür mehr Essensbestellungen und Online-Games im Internet. Der Pneuwechsel wird auf später verschoben, dafür ein Vorrat an Büchsenravioli gekauft.
Schutzmasken sind ausverkauft
Top-Suchbegriffe bei Digitec Galaxus sind derzeit auf Platz eins die Atemschutzmaske, auf Platz zwei Desinfektionsmittel. Masken gibt es bei dem Onlinehändler keine mehr – die waren schon zwei Tage vor dem ersten Corona-Fall in der Schweiz ausverkauft. Dafür werden sie auf Facebook von Privaten zu überrissenen Preisen feilgeboten. Da bietet jemand eine einzelne Schutzmaske für 30 Franken an, normalerweise gibt es dafür zehn Stück.
Ein kleiner Teil der Konsumenten verfällt angesichts der sich überschlagenden Ereignisse in Hysterie. Etwa jener, der gerade den dritten Einkaufswagen mit Mineralwasser gefüllt hat und nun erleichtert den Ausgang des Coop im zürcherischen Dietlikon ansteuert.
Er kenne solche Krisensituationen, weil er in Polen den Sozialismus erlebt habe, doziert der Hamsterkäufer, der unbedingt anonym bleiben will. Der Mann beginnt nervös an seinem Hemd zu zupfen: Plötzlich werde alles rationiert – wenn es verunreinigt sei, sogar das Wasser. Am Montag begann er seine Einkaufstour, über 1000 Franken hat er ausgegeben: «Jetzt habe ich alles.» Sechs Monate könne er mit seinem Notvorrat überleben.
«Man muss die Corona-Sache ernst nehmen»
Zwanzig Kilometer entfernt: Auf dem Parkplatz vor dem Aldi in Wetzikon ZH füllen Hans Fischer und Susanne Poschung, eine ehemalige Lokalpolitikerin, ihren Wagen. Auch sie haben im grossen Stil eingekauft: Wasser, Rösti, Teigwaren. «Man muss die Corona-Sache ernst nehmen», sagt er. «Eigentlich müsste die Grenze zu Italien geschlossen werden, findet sie. Jedenfalls haben sie jetzt vorgesorgt.
Die Stimmung wird nervöser. Und doch: In Panik verfallen die wenigsten. Nicht einmal jene, die das Virus am stärksten bedroht: die Senioren. Laut Umfrage des Link-Instituts fühlen sich Menschen ab 60 Jahren von Corona nicht stärker bedroht als die Jungen.
Das zeigt sich auch im Altersheim Bodmer in Chur. Sechs Corona-Fälle sind in Graubünden bereits gemeldet. Angst hat deswegen aber keiner der Bewohner. «Respekt schon, das sicher», sagt Luise Andreoli zu SonntagsBlick. Wie alle hier im Alterszentrum informiert sich die 84-Jährige intensiv über die Ausbreitung des Virus.
«Viel kann ich sowieso nicht dagegen machen.»
Die Rentnerin hätte am Mittwoch Besuch von ihrer Cousine aus dem Tessin erwartet. Doch so weit kam es nicht. «Leider.» Bis Ende März wolle ihre Cousine sicherheitshalber nicht mehr nach Chur reisen. «Aber ich nehme es, wie es kommt. Viel kann ich sowieso nicht dagegen machen.»
Meldungen, nach denen bis zu drei Millionen Ansteckungen in der Schweiz möglich seien, beunruhigen Luise Andreoli aber schon. «Hoffentlich kommt es nicht so weit.»
Denn es stimmt: Ältere Personen fallen dem Coronavirus eher zum Opfer. Eine Studie in China kam zum Schluss: Die Sterblichkeitsrate bei über 80-Jährigen ist mit fast 15 Prozent gut sechs Mal höher als im Durchschnitt. Unter den Toten in Italien und Frankreich sind fast ausschliesslich Senioren.
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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Das neuartige Coronavirus breitet sich weltweit aus. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde der Erreger Sars-Cov-2 inzwischen in mehr als 50 Ländern nachgewiesen. In China, dem Ursprungsland des Erregers, liegt die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen bei rund 80000. Bislang wurden in China 2835 Todesopfer registriert. Frankreich hat gestern alle Grossveranstaltungen mit mehr als 5000 Menschen untersagt. In unserem westlichen Nachbarland wurden bisher 57 Infektionen bestätigt, zwei Menschen starben.
Das neuartige Coronavirus breitet sich weltweit aus. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurde der Erreger Sars-Cov-2 inzwischen in mehr als 50 Ländern nachgewiesen. In China, dem Ursprungsland des Erregers, liegt die Gesamtzahl der bestätigten Infektionen bei rund 80000. Bislang wurden in China 2835 Todesopfer registriert. Frankreich hat gestern alle Grossveranstaltungen mit mehr als 5000 Menschen untersagt. In unserem westlichen Nachbarland wurden bisher 57 Infektionen bestätigt, zwei Menschen starben.
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