Dröhnend fällt die Ju-52 senkrecht vom Himmel. Mit enormer Wucht schlägt die stolze «Tante Ju» im Sardona-Kessel oberhalb von Flims GR auf. Tonnen von Metall und Aluminium krachen auf unnachgiebigen Fels. Ein lauter Knall. Die drei BMW-Motoren verstummen. Innert Sekundenbruchteilen sind 17 Passagiere und drei Crew-Mitglieder an Bord tot. Sie haben keine Chance.
Mehrere Personen beobachteten das Drama am 4. August von der Passhöhe des Piz Segnas aus. Ungewollt werden sie so von der Krete auf 2625 Metern zu wichtigen Augenzeugen der Tragödie. Denn: Sie haben klare Sicht auf die abstürzende Ju-Air-Maschine, die eine Dreiviertelstunde zuvor in Locarno TI gestartet war.
Flugzeug kam Filmerin «erstaunlich nah»
Einer Augenzeugin gelingt es sogar, ihr Handy rechtzeitig in den Aufnahmemodus zu versetzen und so die letzten Sekunden der Ju-52 vor dem Absturz festzuhalten. Ein acht Sekunden langes Video, welches zum wichtigen Beweismittel werden sollte. Zum Zeitdokument, welches das schlimmste Schweizer Flugunglück seit dem Absturz einer Crossair-Maschine im Jahr 2001 (24 Tote und 5 Verletzte) verewigt. BLICK liegt ihr Video exklusiv vor.
«Ich hatte mein Handy zufällig in der Hand. Das Flugzeug kam mir erstaunlich nahe und gross vor», sagt die Frau zu BLICK. Zunächst schiesst sie ein Foto der Ju-52, wie diese aus südlicher Richtung den Kessel hinaufgeflogen kommt.
«Gleich nach dem Foto kam das Flugzeug irgendwie ganz komisch in unsere Richtung geflogen. Da habe ich gemerkt, dass etwas nicht stimmte, und auf ‹Video› gedrückt», fährt sie fort.
Absturz erfolgte zum Ende einer Linkskurve
Die HB-HOT befindet sich zu diesem Zeitpunkt in ihrer letzten, verhängnisvollen Linkskurve. In deren Verlauf tritt mit grösster Wahrscheinlichkeit ein «Stall», ein Strömungsabriss, ein. Dies mit dem tragischen Effekt, dass die Maschine zunächst spiralförmig, am Schluss aber praktisch senkrecht zu Boden geht. Aviatik-Experte Hansjörg Egger erklärte bereits kurz nach dem Absturz: «Wenn die Luft nicht mehr am Flügel liegt, kommt es zum Strömungsabriss. Ist man in der Spirale drin, hat man keine Chance mehr.»
Das Video unterstreicht die Theorie jetzt eindrücklich. Denn genau in diesem fatalen Moment setzt das Video der Augenzeugin ein. Es sei etwas Zeit verstrichen, ehe ihr Handy mit der Aufnahme begonnen habe. Deshalb konnte sie nur die letzten Augenblicke des Sturzflugs festhalten.
Video wurde an Ermittler übergeben
Sie übergibt das Bildmaterial schon kurz nach dem Absturz der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust). Da die betagte Ju-52 selbst über keinerlei Aufzeichnungsgeräte verfügt, die den Hergang des Unglücks nachvollziehbar erklären könnten, wird das Video so zum Segen für die Ermittler.
Denn auch eine im Voraus geplante Reiseroute liegt nicht vor. Die Piloten Ruedi J.* (†62) und Peter M.* (†63) manövrierten die Maschine auf Sicht und eigenem Gutdünken.
Der Wert des Videos ist auch deshalb so gross, weil es bei den Ermittlungen bislang keinerlei Hinweise auf technisches Versagen gibt. An der HB-HOT wurden zwar Korrosionsschäden festgestellt, die aber für die Katastrophe keine Rolle spielten (BLICK berichtete).
Absturzursache dürfte geklärt werden
Das Video könnte deshalb entscheidend zur Lösung des Rätsels beitragen. Das zusammen mit weiteren Augenzeugenberichten, Radardaten und den Smartphones der verunglückten Passagiere. Letztere werden in Zusammenarbeit mit der französischen Untersuchungsbehörde (BEA) ausgewertet.
Sust-Untersuchungsleiter Daniel Knecht zeigt sich gegenüber BLICK optimistisch, den Absturz der Ju-52 aufklären zu können. «Die Datenlage ist ausserordentlich gut. Wir sind sehr zuversichtlich, schlüssige Antworten liefern zu können.»
Läuft alles nach Plan, kann sein Team mit Hilfe von Animationen die Tragödie bis ins letzte Detail rekonstruieren.
* Namen der Redaktion bekannt
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