Ex-Zurich-Chef Martin Senn nahm sich in Klosters das Leben
In dieser Ferien-Residenz fand ihn seine Frau

Letzten Herbst wurde Senn (†59) als CEO des Versicherungskonzerns abserviert. Warum so viele Top-Manager mit dem Karriere-Bruch nicht klar kommen.
Publiziert: 31.05.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:43 Uhr
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Martin Senn nahm sich am Freitag das Leben.
Foto: Keystone
Patrik Berger, Guido Schätti, Jessica von Duehren

Hinter dem Schlosshotel Vereina in Klosters GR steht die Chesa Madlaina – in einem Quartier, in dem die Schweizer Wirtschaftselite ihre Winterferien verbringt. Eine noble Ferienresidenz mit wunderbarem Blick in die Berge. Doch gestern waren alle Roll­läden unten, der Himmel trist. Das Haus gespenstisch leer.

Genau hier findet die ehemalige Meistergeigerin Guen Soo am Freitag ihren Mann Martin Senn (†59). Der Ex-Chef der Zurich-Versicherungen hat sich in seiner Ferienwohnung erschossen. Die Betroffenheit im Quartier ist gross. Die Senns hätten sehr zurückgezogen gelebt, berichten Anwohner dem BLICK: «Solche Leute wollen hier oben einfach ihre Ruhe. Sie fahren vor, verschwinden in der Tiefgarage. Dann sieht man sie nicht mehr.»

Einen Schuss hörte niemand. «Am Freitag sah ich den Lieferwagen der Tatortreiniger vor dem Haus stehen», sagt eine Nachbarin. «Jetzt weiss ich, warum.»

Höhepunkt einer Bilderbuchkarriere

Es ist das traurige Ende des Lebens eines einstigen Top-Managers. Als CEO des Versicherungskonzerns Zurich stand Senn sechs Jahre lang ganz oben – es war der Höhepunkt einer Bilderbuchkarriere. Mehr als 30 Jahre lang war es für ihn immer steil bergauf gegangen: Er absolvierte die Handelsschule, machte beim Bankverein Basel das KV. Mit der Banklehre im Rucksack ging er als 23-Jähriger nach New York, mit 26 wurde er zum Finanzdirektor der Hongkong-Filiale des Schweizerischen Bankvereins (SBV) ernannt. Da war er bereits Chef über 150 Angestellte.

Den Grossteil seiner Karriere verbrachte Senn in Asien. Seine Frau Guen Soo lernte er auf einer Dschunke anlässlich einer 1.-August-Feier im Südchinesischen Meer kennen. Auch privat lief es für den erfolgreichen Manager nach Plan. 1983 heiratete das Paar, es bekam eine Tochter (28) und einen Sohn (25).

Nach Abstechern zu Credit Suisse und Swiss Life wechselte Senn vor zehn Jahren als Investment-Chef zur Zurich. Da lieferte er sein Meisterstück ab: Ohne grössere Verluste steuerte er das 185 Milliarden schwere Zurich-Portfolio durch die Stürme der Finanzkrise. Der Einsatz wird belohnt – 2009 wird Senn Kapitän des Versicherungskonzerns. «Martin ist eine zupackende, umsichtige und resultat­orientierte Führungspersönlichkeit», lobt der damalige Verwaltungsratspräsident Manfred Gentz den neuen CEO.

Keine Verluste, keine Pleiten, keine lauten Töne: Genau diese Bescheidenheit wird Senn vor einem halben Jahr schliesslich zum Verhängnis. Die Investoren wollen mehr. Über Nacht setzt Verwaltungsratspräsident Tom de Swaan (70) den langjährigen Konzernchef ab – und macht sich selbst zum Interims-CEO.

Dass er nach zehn Jahren im Top-Management der Zurich einfach abgesägt wurde, hat Senn offenbar nicht verkraftet. In den letzten Wochen habe er depressiv gewirkt, sich zurückgezogen, sagt ein Bekannter. Einladungen zum Essen oder Golfen habe er ausgeschlagen.

Letzter Ausweg Freitod

Senn ist nicht der erste Manager der Zurich, der im Freitod den letzten Ausweg gesehen hat. Im Sommer 2013 beging der damalige Finanzchef Pierre Wauthier (†53) Selbstmord. Auslöser war bei ihm allerdings nicht der plötzliche Machtverlust, es waren die hohen Anforderungen. In einem Abschiedsbrief beschuldigte Wauthier den damaligen Verwaltungsratspräsidenten Joe Ackermann (68), ihn unter Druck gesetzt zu haben.

Senn zeigte sich damals tief erschüttert: «Selbst wenn man einen Menschen gut kennt und eng mit ihm zusammenarbeitet, sieht man leider nie ganz in ihn hinein.» Die Leere, die ihn selbst nach seinem unfreiwilligen Abgang erfasste, hat er offenbar mit niemandem geteilt.

«Herrn Senn wurde die Macht von einem auf den anderen Tag genommen. Es ist gut möglich, dass ihm dieser plötzliche Verlust den Boden unter den Füssen weggerissen hat», sagt Berater Johannes Czwalina zu BLICK. Seit 22 Jahren berät der 64-Jährige Führungskräfte. Seine erschreckende Erkenntnis: «Die Gefahr des Suizids ist heute viel grösser als noch vor zehn Jahren.» Schuld daran seien die Digitalisierung, der schnelle Wandel und die geringe Wertschätzung, die in vielen Unternehmen an der Tagesordnung sei.

Mehr Macht - mehr Glück

Doch auch der plötzliche Machtverlust wie im Fall Senn birgt grosse Gefahren. «Viele Manager definieren sich nur über ihren Job. Mehr Macht bedeutet für sie gleichzeitig mehr Glück. Wird ihnen diese Macht genommen, stehen viele vor dem Nichts», sagt Czwalina.

Das bestätigt der Personalexperte Matthias Mölleney (56): «Wenn man ausser dem Beruf nichts hat, ist es viel schlimmer, wenn man die Arbeit verliert.»

Tatsächlich ist es für Manager schwer, nach einem tiefen Fall wieder auf die Beine zu kommen: Seit seinem Aus bei der UBS gilt der Ex-Verwaltungsratspräsident Marcel Ospel (66) in der Öffentlichkeit als Persona non grata. Auch Ex-Postchef Michael Kunz  (57) konnte nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Crossair-Gründer Moritz Suter (72) zog sich schmollend aus dem öffentlichen Leben zurück.

Ob es die Angst war, am Boden liegen zu bleiben, die Martin Senn schliesslich in den Selbstmord getrieben hat? Vielleicht wird man es nie erfahren.

Hoher Einsatz, tragisches Ende

Trauriger Lebemann

Foto: Keystone

Arrogant, kaltschnäuzig, leistungsgetrieben: Dieses Image hafet Spitzenmanagern hartnäckig an. Alex Widmer (†52) war das pure Gegenteil. Widmer hatte immer Zeit für einen Schwatz, um Statusunterschiede kümmerte er sich nicht. Der Chef der Bank Bär war der Paradiesvogel der Bankenwelt. Doch tief drinnen in Alex Widmer sah es anders aus. Den Krebstod seiner Frau verkraftete er nicht. Am 4. Dezember 2008 nahm sich der Top-Banker das Leben.

Volle Pulle bis zuletzt

Foto: Keystone

Immer volle Kraft voraus: Das war das Lebensmotto von Carsten Schloter (†49). Egal ob im Job, Sport oder Privatleben, der deutsche Manager gab stets Vollgas. Die Swisscom profitierte davon. Schloter lancierte das TV-Angebot und revolutionierte die Mobilfunk-Abos. Doch vor drei Jahren geriet Schloter in eine Krise. Nicht einmal seine Liebe zu den Bergen und zum Biken konnte ihn retten. Am 23. Juli 2013 brachte er sich um. Die Schweiz stand unter Schock.

Einsamer Protest

Foto: Keystone

Der Sommer 2013 war eine Tragödie für die Schweizer Wirtschaft. Nur gut einen Monat nach Swisscom-Chef Carsten Schloter schied Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier (†53) freiwillig aus dem Leben. Der britisch-kanadische Doppelbürger wurde als ruhiger Mensch beschrieben. Er ging aber mit einem Knall: Im Abschiedsbrief beschuldigte er Zurich-Präsident Joe Ackermann (68), ihn unter Druck gesetzt zu haben. Ackermann blieb nur der Rücktritt.

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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