Ex-Leiter von Nobel-Internat steht heute vor Gericht – Ex-Schüler klagt an
Zuerst gabs Alkohol, dann Sex

Hinter der noblen Fassade des Westschweizer Elite-Internats Beau Soleil haben sich offenbar Dinge abgespielt, die nicht an die Öffentlichkeit gelangen sollten. Es geht um sexuelle Übergriffe auf Schüler. Dem angeschuldigten Lehrer wird heute der Prozess gemacht. Eines seiner Opfer erzählt im BLICK seine Geschichte.
Publiziert: 23.05.2017 um 10:06 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:27 Uhr
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«Ich will nur meinen Frieden finden»: Opfer David hat seinen früheren Lehrer angezeigt.
Foto: JEAN-GUY PYTHON
Laurent Grabet

Als Lehrer am Waadtländer Nobelinternat Beau Soleil in Villars-sur-Ollon, verantwortlich für das Internat der Eliteschule, soll Monsieur Luc* (57) mehrere Kinder sexuell missbraucht haben. Heute wird ihm in Vevey der Prozess gemacht – weil David* (28) den Mut hatte, ihn anzuzeigen. Im BLICK erzählt das Opfer, ein schweizerisch-britischer Architekt, von seinem Leid.

«Ich war 15, als mich Monsieur Luc missbrauchte. Es war mein persönlicher 11. September. Ich bin daran zugrunde gegangen.» So erinnert sich David an das Unfassbare, das in seiner Jugend geschah. Monsieur Luc war sein Lehrer – jemand, den er «wie einen Vater respektierte, liebte und verehrte», wie er sagt. David wird heute vor dem Bezirksgericht Vevey aussagen. Sein mutmasslicher Peiniger muss sich wegen sexueller Handlungen mit Kindern und sexueller Nötigung verantworten. «Ich wünsche mir», sagt David, «dass meine Geschichte anderen Opfern hilft, ihr Schweigen zu brechen.»

Die Taten gehen auf die Jahre 2003 und 2004 zurück, als der Junge im Beau Soleil zur Schule ging. Monsieur Luc war nicht nur sein Geschichtslehrer, sondern auch der allmächtige Leiter der Internatsabteilung. Der Kanadier wohnte selber im weltweit angesehenen Nobelinternat. Zwei Mal hat er sich laut Anklage an David vergangen. Im September 2014 zeigten er und ein Mitschüler den Lehrer an. Die Untersuchung ergab: Es gibt noch drei weitere Opfer. David ist überzeugt, dass es noch mindestens fünf weitere gibt.

Während des ganzen Verfahrens hat der frühere Internatschef eisern geschwiegen. «Ich glaube, er ist ein kaputter Mensch und schämt sich», sagt David. Er habe von ihm eine Entschuldigung verlangt, aber nie etwas von ihm gehört. 

Mal rigider Chef, mal Lieblingslehrer

Bei den Jugendlichen im Internat ist Monsieur Luc beliebt. Er hat Charisma, aber auch etwas Manipulatives an sich. Mal gibt er den rigiden Chef, der nichts durchlässt, mal den Lieblingslehrer. An manchen Abenden setzt er sich über die strengen Internatsregeln hinweg und schenkt den Schülern Alkohol aus – in seiner Wohnung. Sind die Schüler betrunken, müssen sie in Monsieur Lucs Schlafzimmer übernachten. Aus Sicherheitsgründen, wie dieser vorgibt. Auch David trifft es.

Nach den Übergriffen lassen Davids schulische Leistungen merklich nach. Zu Beginn der Frühlingsferien 2004 kommt es im Beau Soleil unter Alkoholeinfluss zu einer wüsten Schlägerei zwischen dem Lehrer und zwei Schülern. Monsieur Luc wird Knall auf Fall entlassen.

«Es ging um den Ruf der Schule» 

Da fasst David den Mut zu reden. Doch keiner handelt. «Der Beau-Soleil-Direktor spielte alles herunter. Wahrscheinlich sorgte er sich um den Ruf der Schule», erinnert sich David. Ein anderes Mal kommt die Mutter eines Mitschülers mit einem Glas Champagner in der Hand auf ihn zu und lässt ihn wissen, dass es sich nicht gehöre, über «solche Dinge» zu reden. Auch die eigenen Eltern sind für David zu dieser Zeit kaum eine Stütze. «Sie waren geschockt, reagierten aber unbeholfen. Ich hatte das Gefühl, dass mir niemand glaubte.»

David wechselt die Schule und will alles hinter sich lassen. «Ich nahm die Demütigung einfach hin und sagte nichts. Doch heute ist mir klar: Wer alle Last auf sich nimmt, ist schwach. Wer dagegen redet und Hilfe einfordert, der zeigt wahre Stärke.» Die Jahre vergehen, und der mittlerweile erwachsene David glaubt, das Kapitel sei abgeschlossen. Doch er hat sich getäuscht.

Plötzlich bricht alles hervor

Nach aussen versteckt er seine Verzweiflung. Er flüchtet sich in den Alkohol. Darunter leiden seine Beziehungen. Auch Wutanfälle übermannen ihn. Erst, als er schliesslich bei einem Vortrag an der Uni wegen einer Panikattacke keinen Satz hervorbringt, geht er zum Psychiater. 

Zu seiner eigenen Überraschung kommt David gleich in der ersten Sitzung auf seinen früheren Lehrer zu sprechen. Mit der Zeit begreift der junge Mann, wie sehr er ihm hörig war. Davids Wut überdeckt seine Scham, und seine Scham überdeckt sein Leiden. Diesem Leiden hatte er sich bis dahin nie gestellt. Doch es bestimmte sein Leben, ohne dass er es merkte.

Eines Abends liest er einen Satz eines französischen Bergsteigers: «Das Geheimnis im Leben heisst Selbstvertrauen.» David entscheidet sich, Monsieur Luc vor Gericht zu bringen. «Ich hörte auf mein Inneres, und mir war sofort klar: Das ist der richtige Weg.» Um ein neues Leben zu beginnen, musste David zuerst akzeptieren, ein Opfer zu sein. Gleichzeitig – und das ist das Paradoxe daran – hat ihm dieser Schritt auch aus der Opferrolle geholfen. Er kämpft nun für eine Sache, die über sein persönliches Schicksal hinausgeht.

«Es gibt keinen Sieger»

Vor drei Jahren schreibt David an Monsieur Luc: «Es gibt nur einen Weg aus diesem Elend. Er führt über die Wahrheit. In unserer Situation gibt es keinen Sieger. Und ich will auch gar nicht Sieger sein. Ich will nur meinen Frieden finden.» Auf eine Antwort des 57-Jährigen wartete er vergeblich. Monsieur Luc lebt mittlerweile in Kanada und wird heute wahrscheinlich nicht vor Gericht erscheinen. 

* Namen der Redaktion bekannt

Der Journalist Laurent Grabet kennt alle Beteiligten persönlich, da er zur damaligen Zeit im Beau Soleil arbeitete.

Übersetzung: Silvan Kämpfen

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