Ein Jahr Pandemie, das heisst auch: ein Jahr fast ohne Veranstaltungen, ohne grosse oder kleine Anlässe, ohne Festivals und Messen.
Sitzt man in den eigenen vier Wänden fest, ist das in erster Linie eine soziale Katastrophe. Wer aber davon lebt, dass Menschen zusammenkommen, dem droht der wirtschaftliche Ruin.
Firmen, die Anlässe auf die Beine stellen und durchführen, haben ein Jahr des Schreckens hinter sich. Und sie blicken in eine ungewisse Zukunft. Die ersten Öffnungsschritte mögen den Detailhandel ankurbeln, bis aber wieder grössere Gruppen zusammenkommen dürfen, wird noch einige Zeit vergehen.
Verbände schätzen Umsatzeinbruch auf 3,19 Milliarden Franken
Neuste Zahlen zeigen, wie stark Corona die Veranstalter in Mitleidenschaft gezogen hat. Der Branchenverband Expo Event, der Verband der Zeltbauer Tectum und der SVTB, der Schweizer Verband technischer Bühnen- und Veranstaltungsberufe, befragten ihre Mitglieder zur Höhe ihrer finanziellen Ausfälle.
153 Firmen aus allen Teilbereichen gaben Auskunft, die Ergebnisse liegen SonntagsBlick vor. Demnach schätzen die Verbände den Umsatzeinbruch im Vergleich zu 2019 auf 57 Prozent oder 3,19 Milliarden Franken.
Die Wertschöpfungsverluste für nachgelagerte Zulieferer, zum Beispiel aus der Gastronomie, fallen sogar noch höher aus. Insgesamt 4460 Stellen gingen bisher verloren. In anderen Worten: jede fünfte Stelle in der Branche wurde abgebaut. Rund 17 000 grössere und kleinere Projekte mussten abgesagt oder verschoben werden. Früher waren in den genannten Verbänden 1250 Firmen organisiert – 220 davon existieren heute nicht mehr. Sie sind im Strudel der grossen Krise untergegangen.
«Kaum eine Branche trifft es härter»
«In unserer Branche herrscht seit längerem das Prinzip Hoffnung», fasst Christoph Kamber, Präsident von Expo Event, die Lage zusammen: «Seit einem Jahr arbeiten wir mit einem faktischen Berufsverbot und bluten langsam aus.» Die Wochen im Herbst, als für kurze Zeit grössere Veranstaltungen möglich gewesen wären, änderten daran praktisch nichts. Niemand ging das Risiko ein, nahm Geld in die Hand für eine Veranstaltung, die von heute auf morgen ins Wasser fallen konnte.
So blieben die Auftragsbücher leer, die Mitarbeiter auf Kurzarbeit, während sich die Fixkosten weitersummierten – mit düsteren Folgen für Umsätze und Jobs. «Wir zerlegen gerade die Strukturen, auf die wir künftig eigentlich aufbauen müssen. So gesehen würde ich sagen: Kaum eine Branche trifft es härter», sagt Kamber. Die Betriebe hätten bisher versucht, Entlassungen wann immer möglich zu vermeiden. Die grosse Welle der Kündigungen folgt erst noch, glaubt der Verbandspräsident: «Nämlich dann, wenn die Unternehmen auch 2021 keine Planungssicherheit und somit keine Perspektive haben.» Ein weiteres Jahr, bei dem rückwirkend Härtefallgelder ausbezahlt werden, können viele schlicht nicht mehr überstehen, ist er überzeugt.
Veranstalter bleiben auf ihren Kosten sitzen
Wie lange die Zwangspause weitergeht, hängt natürlich vom Verlauf der Pandemie ab. Zu einem nicht geringen Anteil aber auch von Entscheiden, die in den kommenden zwei Wochen im Bundeshaus fallen.
Um die für ein Überleben notwendige Planungssicherheit zu schaffen, beschloss die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK) am Donnerstag, eine Ausfallentschädigung für abgesagte oder verschobene Veranstaltungen, Messen, Gewerbeausstellungen und Jahrmärkte. Bis zu 350 Millionen Franken soll der Bund 2021 dafür aufwenden – vorausgesetzt, eine Mehrheit im Parlament stimmt zu.
Österreich und die Niederlande kennen bereits einen ähnlichen Mechanismus. Dort scheint er zu funktionieren. Vereinfacht gesagt, verlangt die WAK-Mehrheit die Absicherung von geplanten Veranstaltungen.
Fällt zum Beispiel eine Messe ins Wasser, fliessen heute keine Ausfallentschädigungen und die Veranstalter bleiben auf ihren Kosten sitzen. Angesichts dieses Risikos handeln sie entsprechend vorsichtig: Termine, die verschoben werden können, werden immer weiter verschoben – oder besser gleich ganz abgesagt. Kamber: «Alles, was wir verlangen, ist eine Versicherung für den Fall, dass diese Anlässe erneut aufgrund der Pandemie abgesagt werden müssen.»
«Man kann unsere Branche nicht von heute auf morgen hochfahren»
Über den Vorschlag der WAK befindet der Nationalrat bereits am Montag. Die wohl entscheidende Hürde aber lauert im Ständerat. Erst am Ende der laufenden Session werden die betroffenen Unternehmer wissen, ob sie auf den erhofften Schutzschirm zurückgreifen können oder nicht.
Der Glarner Die-Mitte-Nationalrat Martin Landolt hat den Vorschlag in der WAK eingebracht und zeigt sich «einigermassen optimistisch», dass er angenommen wird: «Allerdings passiert im Parlament gerade sehr viel in sehr kurzer Zeit, das macht die Koordination schwierig.» Die Absicherung sei finanzpolitisch sinnvoll: «Sonst zahlt der Bund noch zu einem Zeitpunkt Kurzarbeitsgelder, wenn eigentlich längst Anlässe stattfinden könnten.» Dabei breche das Parlament allerdings mit dem Prinzip, keine Ausfälle in der Zukunft zu tragen, sondern lediglich bereits entstandene Schäden. «Das sah ich noch vor einigen Wochen skeptisch», so Landolt. «Studiert man aber die Argumente der Branche, kann man auch als Bürgerlicher ohne schlechtes Gewissen zustimmen.»
Aus Sicht des SVTB-Präsidenten Jörg Gantenbein ist diese Rückversicherung auch bei einem positiven Pandemieverlauf nötig: «Plötzlich kann es schnell gehen, sagte Alain Berset vor kurzem. Das stimmt. Nur kann man unsere Branche nicht von heute auf morgen hochfahren.» Dies sei anders im Detailhandel oder in der Gastronomie, die innert weniger Tage startklar seien.
Planung verursacht bereits Kosten
Gantenbein erwartet vom Bundesrat nicht, dass er ein festes Datum für Anlässe in Aussicht stellt. «Aber geht man davon aus, dass ab Mai oder Juni wieder Veranstaltungen möglich sind, müssen wir nun mit der Planung beginnen.» Allein dies verursache bereits Kosten. «Hat der Kunde Angst, auf diesen Ausgaben sitzen zu bleiben, wenn ein Anlass ins Wasser fällt, lässt er es in diesem Jahr und in diesem Umfeld lieber bleiben.»
Dies verlängere die Krise für die besonders Betroffenen zusätzlich. «Darum schlagen wir diesen Schutzschirm vor. Finden die Anlässe statt, fallen für den Staat auch keine Ausgaben an», so Gantenbein.
Vorausgesetzt, der Staat – also das Parlament – macht mit.