Spreitenbach im Aargauer Limmattal. Eine Plattenbausiedlung aus den Siebzigern. Von den Balkonböden ist der Zement bis auf die Armierungseisen abgebröckelt. Die Eingangstür hat wohl schon einige Einbruchsversuche hinter sich. Im Lift riecht es nach Urin.
Eine kleine Wohnung im vierten Stock ist Sitz der Firma Dentist Travel. Ihr Betreiber, Sascha A.*, vermittelt Reisen zu Zahnärzten nach Serbien. Ein muffiges, kleines Zimmer dient als Büro. Überall stehen Gebissmodelle. Wer hier auf Zahngesundheit hofft, muss wirklich verzweifelt sein.
Schnell gehts zur Sache. Sascha A. schaut in den Mund der Beobachter-Redaktorin, die als potenzielle Kundin über Kieferschmerzen klagt. Der hinterste, reparierte Zahn sei vielleicht zu hoch geraten, sagt sie. «Alles klar», sagt er. «Sie brauchen das hier!»
Auf dem Tablet, das A. flink auf den Tisch legt, ist die Visualisierung einer Brücke über drei Zähne hinweg zu sehen. «Das machen wir dann etwas tiefer als jetzt, dann merken Sie nichts mehr!» Dass schon ein einfaches Zahnabschleifen in fünf Minuten den gewünschten Effekt hätte, sagt er nicht.
Der Billig-Master
Die Klinik in Serbien, wo der Eingriff vorgenommen werde, gehöre ihm, sowie zwölf weitere. Es handle sich um einen Familienbetrieb, der Chirurg sei sein Onkel. Auch Schönheitsoperationen könne er vermitteln Schönheits-OP Schöner dank Skalpell? . Er sei übrigens selber Chirurg, prahlt A.. Studiert habe er in Memmingen-München, den Master habe er für 3000 Euro in Serbien gemacht. «In der Schweiz wäre das ja viel zu teuer!» Eine Zulassung hat er hier nicht.
Mit Hotel und allem Drum und Dran würde der Eingriff nur 3500 Franken kosten, führt A. das Verkaufsgespräch weiter. Dann wirds im Minutentakt billiger. Zuletzt sind es noch 2900 Franken. Zudem, so A., könne man nach der Behandlung mit der Kostenaufstellung der serbischen Klinik hier in der Schweiz auf die Gemeinde gehen und bekäme dann 25 Prozent der Kosten an die Steuerrechnung angerechnet. Eine mehr als abenteuerliche Behauptung, bar jeglichen Realitätsgehalts. Einen Kostenvoranschlag will A. nicht ausstellen. Aber der Preis sei natürlich fix, egal, was die Behandlung in Belgrad mit sich bringe, lockt der 48-Jährige.
Seine Websites sind eine einzige Verlockung. Sie werben mit «über 100'000 zufriedenen Kunden, 78'000 gesetzten Implantaten und 350'000 Zahnbrücken», ködern mit lebenslanger Garantie, Gratisreise, kostenloser Unterkunft im Viersternhotel, gratis Stadtrundfahrten und der Gratisbehandlung einer Begleitperson bei einem grösseren Auftrag. Angebliche Auszeichnungen und Gütesiegel sowie Bild- und Filmmaterial von renommierten Firmen wie Straumann, Zirkonzahn und Nobel Biocare sollen letzte Zweifel vertreiben. Als Werbeträger für die Schönheitsoperationen bemüht er gar ein Bild der US-Schauspielerin Scarlett Johansson.
Von der Zahnreise in die Notaufnahme
Von den Versprechungen blenden lassen haben sich Gerardus Cornelis Van der Krogt und Alida Huser aus Dulliken SO. «Ich hatte immer schon Angst vor dem Zahnarzt. Mein Gebiss sah entsprechend aus. In der Schweiz hätte die Sanierung rund 60'000 Franken gekostet, die hatte ich nicht», erzählt der 58-Jährige, der von einer kleinen Rente aus den Niederlanden lebt. «Am 12. Juni 2014 besuchte ich den vermeintlichen Zahnarzt. Er versprach, meine Zähne mit der bestmöglichen Technik in Ordnung bringen zu lassen. Samt Flug, Viersternhotel und lebenslanger Garantie sollte das nur 11'000 Franken kosten.»
Van der Krogt unterschrieb und bezahlte die mühsam zusammengesparten 11'000 Franken gleich bar. Eine Woche später flogen er und A. nach Belgrad. Doch die Unterkunft entpuppte sich laut Van der Krogt als «Abbruchhotel». Und statt der versprochenen High-End-Implantate wurden ihm lediglich billigste Prothesen auf die Stümpfe in den Mund zementiert.
Mit schmerzhaften Folgen. Besuche in der Belgrader Klinik wechselten sich mit insgesamt fünf Aufenthalten in Schweizer Notfallstationen ab. Gutachten bestätigten Abszesse in Unter- und Oberkiefer und chronischen Knochenverlust als Folge der unsachgemässen Behandlung. Van der Krogt reichte Klage gegen den Betreiber von Dentist Travel ein.
Rund vier Jahre später verknurrte das Bezirksgericht Baden A. dazu, dem Geschädigten knapp 11'000 Franken zuzüglich 2400 Franken Parteientschädigung zurückzuzahlen. «Ich habe bis heute keinen Rappen gesehen», ärgert sich Van der Krogt.
Auch Alida Huser ging dem Zahnreiseveranstalter auf den Leim. Ihr Vertrag umfasste eine «komplette Kieferbehandlung mit Wurzelbehandlungen und Zahnfüllungen/Überkronungen bei allen bedürftigen Zähnen inkl. Flug und Hotel VP für 4100 Franken». Sie trat die Reise aber erst gar nicht an. «Statt des versprochenen Nonstop-Flugs sollte ich acht Stunden auf den Anschlussflug warten, was zudem eine Hotelübernachtung nötig gemacht hätte. Das wollte ich nicht.» Auch hier entschied das Gericht gegen den selbsternannten «Chirurgen» von Spreitenbach.
Er nennt sich mal so, mal so
Sascha A., ärgert seit Jahren Behörden und Patienten. Schon 2015 schrieben «SonntagsBlick» und «Aargauer Zeitung» über den 48-Jährigen, der sich damals noch als Zahnarzt ausgab. Das wurde ihm vom Aargauer Gesundheitsdepartement unter Androhung einer Busse von 10'000 Franken verboten. Doch noch Anfang Oktober 2018 fand sich auf einer seiner Websites ein angeblich eidgenössisches Diplom auf seinen Namen.
Mittlerweile will A. seinen Firmensitz nach Belgrad transferiert haben. Google Earth zeigt an der angeblichen Adresse allerdings eine Baubrache. Wenig erstaunlich, denn im serbischen Handelsregister existiert eine Firma namens Dentist Travel genauso wenig wie im schweizerischen. Auch beim Implantatehersteller Straumann ist A. nicht bekannt. «Wir werden ihn kontaktieren und verlangen, dass er unser Dokumaterial umgehend von seinen Websites entfernt», sagt Firmensprecher Mark Hill.
Und was sagt Sascha A.? «Ich werde Ihnen keine Informationen beliefern. Habt ihr nichts anderes zu tun, als die anderen Unternehmen zu beobachten und zu schnüffeln, so sind halt die Zeitungen, macht nichts», lässt er per E-Mail verlauten. «PS: Ich würde niemals lügen!!! Alles, was in der Webseite steht, ist wahrheitsgetreu, 100 %.»
*Name geändert
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch
Dieser Artikel wurde aus dem Magazin «Beobachter» übernommen. Weitere spannende Artikel finden Sie unter www.beobachter.ch