Eltern sind unzufrieden mit der Volksschule – und schicken schon Primarschüler auf Privatschulen
Ungenügend!

Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder in private Primarschulen. Die öffentlichen Schulen haben noch nicht begriffen, dass sie in einem Wettbewerb stehen.
Publiziert: 30.10.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 16:43 Uhr
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Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil Privatschüler auf Primarschulstufe verdoppelt.
Foto: Daniel Ammann
Caspar Pfrunder

Private Primarschulen liegen im Trend. Auch Linke wie die Berner SP-Politikerin Ursula Wyss  (43) scheuen sich nicht mehr, ihre Kinder an eine Privatschule zu schicken (SonntagsBlick berichtete). Die Statistik zeigt: Seit dem Jahr 2000 hat sich der Anteil Privatschüler auf Primarschulstufe verdoppelt, von 2,1 auf 4,2 Prozent 2015 – beim Gymnasium ist der Trend umgekehrt (siehe Grafik). Offenbar genügt die Volksschule den Ansprüchen vieler jungen Schweizer Eltern nicht mehr.

Jürg Brühlmann (62) vom Schweizerischen Lehrerverband hat eine schnelle Erklärung zur Hand: «Der Anstieg der Privatschülerquote ist vor allem in Gemeinden zu beobachten, wo zahlreiche Expats leben.» Falsch, sagt Margrit Stamm (66), emeritierte Professorin für Erziehungswissenschaften. Es sei verfehlt, die Zunahme an Kindern in privaten Primarschulen nur mit Expats und Ausländern zu erklären und begründet: «Heute betrachten Eltern eine gute Bildung als wichtigste Voraussetzung für eine erfolgreiche Laufbahn, deshalb tun sie alles für die optimale Frühförderung ihrer Kinder.»

Nicht die reformpädagogischen Montessori- und Steinerschulen, sondern leistungsorientierte Tagesschulen wie die NMS in Bern und International Schools wie die IBS Terra Nova in Zürich mit öffentlichem Lehrplan boomen deshalb. Diese haben Angebote, die es an der Volksschule kaum gibt: Sie bieten oft zweisprachigen Unterricht und Ganztagesstrukturen mit Blockzeiten an. Aus diesen Gründen wählte auch SP-Politikerin Wyss Privatschulen für ihre beiden Söhne. Privatschulunterricht findet oft in kleinen Gruppen statt. Auch Aufgabenhilfe und Freizeitbetreuung gibt es bei den Privaten. Am Abend stehen keine Haus­aufgaben mehr an, die Familie kann gemeinsam den Feierabend geniessen.

Eine Kluft zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen

Was vielen Eltern auch gefällt: Private Primarschulen verkaufen sich mittels klarem Profil und Wertekanon. Das fehlt bei den öffentlichen Schulen. Margrit Stamm sagt: «Die Volksschulen meinen immer noch, dass die Schüler sowieso zu ihnen müssen. Doch die Eltern finden das nicht mehr unbedingt. Deshalb ist ein grosser Markt mit Privaten entstanden – und die öffentlichen Schulen haben noch keine gute Antwort auf die neue Konkurrenzsituation gefunden.»

Die Kosten für Privatschulen sind hoch, betragen meist über zehntausend Franken im Jahr. Stamm hält das für problematisch. Es drohe eine Vergrösserung der Kluft zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen. Was sollten die öffentlichen Schulen also tun? «Sie müssen klare Profile entwickeln, um sich attraktiver zu machen», so Stamm. «An Orten, wo eine grosse Nachfrage nach Ganztagesstrukturen besteht, sollte man diesen Bedürfnissen entgegenkommen.»

Hoch sind die Privatschüleranteile vor allem in wohlhabenden Gemeinden. Schweizweiter Spitzenreiter ist die Zürcher Goldküstengemeinde Zumikon mit 26 Prozent. Im Kanton Zug liegt die Privatschülerquote bereits bei über zehn Prozent. Stamm hält aber fest: «Es geht nicht nur um Reiche. Zunehmend sparen sich auch mittelständische Eltern das Geld für eine Privatschule vom Alltagsbudget ab, wie empirische Daten belegen.»

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