Eltern der ermordeten Adeline (†34) entsetzt über Prozess-Abbruch
«Für uns ist es eine Tortur»

Der Prozess gegen den Mörder ihrer Tochter Adeline († 34) sollte Esther (66) und Jean-Claude Morel (73) eine Art Abschluss ermöglichen. Stattdessen gerät die Verhandlung für sie zum Drama.
Publiziert: 07.10.2016 um 00:10 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 08:10 Uhr
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Esther (66) und Jean-Claude Morel (73) wollten mit dem Prozess einen Abschluss finden. Aber er verkommt zur Farce.
Foto: Keystone
Gabriela Battaglia

Um 9.15 Uhr verkündet Gerichtspräsidentin Anne-Isabelle Jeandin Potenza, der Prozess gegen Fabrice Anthamatten (42) werde abgebrochen. Die Richter wollen ein drittes Gutachten über ihn einholen.

«Einer der beiden französischen Gutachter erhielt die Unterlagen erst am Tag, an dem er Anthamatten traf», begründet Jeandin Potenza. «Das Gericht bekam bei ihrer Befragung den Eindruck, sie hätten nicht alle Beweismittel studiert oder nicht über sämtliches Material verfügt.»

Adelines Eltern sind schockiert. Die Mutter, Esther Morel, sagt zu BLICK: «Für uns ist das eine moralische Tortur. Wir möchten gern abschliessen und endlich mit der Trauerarbeit anfangen. Jetzt dauert es Monate, bis es weitergeht.»

Die Experten aus Frankreich, Pierre Lamothe und Daniel Zagury, sind auf Serienmörder spezialisiert. Am Mittwoch attestierten sie Anthamatten ein sehr hohes Rückfallrisiko. Ihre Aussagen blieben aber oberflächlich: «Er ist wie ein Kaleidoskop. In seinem Kopf hat es alles und das Gegenteil davon.»

Für die Richter reicht das nicht. Sie wollen eine dritte Meinung. Generalstaatsanwalt Olivier Jornot ist entsetzt: «Auch wenn mich die langen Ausführungen der französischen Gutachter manchmal nervten, so sind ihre Schlussfolgerungen klar gewesen. Sie haben gesagt, dass es keine Behandlung gibt.»

Dass ein so wichtiger Prozess nach vier Tagen abgebrochen wird, kam in der Schweiz noch nie vor. Schon beim Auftakt kam es wegen der leisen Stimme der Gerichtspräsidentin zu einem Eklat. Adelines Eltern reklamierten, weil sie deren Worten nicht folgen konnten. Widerwillig liess sich Jeandin Potenza ein Mikrofon anstecken. Am zweiten Tag mussten die Schweizer Gutachter stehen. Das müssen sonst nur Angeklagte. Nach der Pause durften sich die Experten setzen.

Gestern gipfelte die Serie der peinlichen Pannen im Abbruch des Prozesses, der auf zwei Wochen angesetzt war. Die Suche nach einem Verantwortlichen ist kompliziert. Generalstaatsanwalt Jornot war es, der die französischen Gutachter beauftragt hatte. Dass einer der beiden die Akten erst am Tag des Treffens mit dem Täter bekam, störte ihn bis gestern nicht. Doch auch die Gutachter haben eine Sorgfaltspflicht. «Sie hätten sagen müssen, dass sie mehr Zeit für die Vorbereitung der Gespräche mit dem Täter brauchen oder selber einen späteren Gesprächs­termin festlegen müssen», sagt der Rechtswissenschaftler und Zürcher SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt (46).

Man müsse sich aber bewusst sein, dass sich das französische Rechtssystem vom schweizerischen unterscheide. Für Vogt stellt sich deshalb die Frage: «Waren sich die französischen Gutachter bewusst, wie wichtig ihr Gutachten in einem Prozess ist, in dem es um eine lebenslange Verwahrung geht?»

Ob ein Gutachten Substanz hat, stellt sich erst während des Verfahrens heraus. «Natürlich lesen die Richter die Gutachten vor der Verhandlung. Fragen dazu können sie aber erst am Prozess stellen», sagt Vogt.

«Es ist furchtbar», sagt die Mutter. «Wir haben uns auf diesen Tag vorbereitet und konnten nicht schlafen.» Sie und Adelines Lebenspartner hätten gestern als Zeugen auftreten sollen. Nach der überraschenden Ankündigung verzichteten sie – und hoffen, dass das dritte Gutachten zum Schluss kommt, dass Anthamatten verwahrt werden muss. Bis es vorliegt, dauert es aber noch Monate.

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