Auf einen Blick
- Bundespräsidentin Keller-Sutter eröffnete X-Account, plant aber baldigen Ausstieg
- Viele Politiker und Medien verlassen X wegen zunehmender Kritik an Musks Plattform
- Mindestens zwei Departemente lehnten Keller-Sutters Idee für Präsidial-Account ab
Als wäre es ihr peinlich, lächelte Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter die Frage von Sandro Brotz weg. Ob sie denn keine Angst habe, von X-Besitzer Elon Musk ins Visier genommen zu werden, wollte der «Arena»-Moderator wissen. Die Finanzministerin hatte kurz nach Weihnachten überraschend ein Konto auf der Social-Media-Plattform eröffnet, um sich – so stand es in der Medienmitteilung – mit der Bevölkerung austauschen zu können.
Im Moment tun viele das Gegenteil. Vor allem jene, die das alte Twitter vor der Übernahme durch den US-Tech-Milliardär Elon Musk intensiv nutzten – Journalistinnen, Politiker, Wissenschaftlerinnen –, verabschieden sich in diesen Tagen davon. Am Freitag zog das Schweizer Newsportal Watson die Reissleine, andere, wie der britische «Guardian», sind schon länger weg. Ihre Begründungen ähneln einander: X sei zu einer Plattform geworden, auf der kein konstruktiver Dialog mehr möglich sei.
Noch markiger formuliert es Grünen-Nationalrat Gerhard Andrey: «X ist zur Horrorshow verkommen.» Der IT-Unternehmer Andrey versteht nicht, weshalb sich die Verwaltung dort noch aufhalte. «Mich persönlich stösst die Plattform ab.»
Kein Präsidial-Account
Keller-Sutter hatte eigentlich etwas ganz anderes geplant. Vor knapp einem Jahr unterbreitete ihr Finanzdepartement (EFD) der Konferenz der Informationsdienste (KID) einen Vorschlag: Künftige Bundespräsidentinnen und Bundespräsidenten sollten über einen speziellen, nicht persönlichen X-Account kommunizieren, der ein Jahr lang genutzt und dann weitergegeben werden kann.
So handhaben es auch andere Länder wie die USA, deren Präsident unter @Potus postet oder Deutschland, wo der Kanzler den Account @Bundeskanzler nutzt, illustriert mit einem Foto der jeweils amtierenden Person.
Keller-Sutters Idee versetzte die Bundesberner Bürokratie-Maschinerie in Bewegung. Die KID beauftragte eine Arbeitsgruppe, eine «Diskussionsgrundlage» zu erarbeiten. Entsprechende Dokumente liegen Blick vor.
Die Gruppe aus Vertretern aller Departemente empfahl Keller-Sutters Idee schliesslich zur Ablehnung – die KID folgte ihr. Stattdessen sollten Alternativen geprüft werden. Auch jene, für die sich die Finanzministerin nun entschieden hat: einen persönlichen Account für das Präsidialjahr, der am Ende ihrer Amtszeit im Dezember 2025 geschlossen wird.
Was sprach gegen Keller-Sutters Idee? Laut einer Aktennotiz befürchtete die Arbeitsgruppe Doppelspurigkeiten, da bereits mehrere Bundesräte und Departemente auf X persönliche Accounts pflegen. Die vielen Profile könnten in der Öffentlichkeit «zu Verwirrung führen».
Ein eigener Account für das Präsidium entspreche dem Kollegialitätsprinzip zudem nur bedingt und könnte beim ausländischen Publikum den Eindruck erwecken, die Schweiz verfüge über ein mit anderen Staaten vergleichbares Staatsoberhaupt.
Am Ende scheiterte der Vorschlag auch am Widerstand von Keller-Sutters Bundesratskollegen. Laut der Aktennotiz kündigten mindestens zwei Departemente an, dass sie den neuen Account nicht nutzen würden.
Bundeskanzlei hält an X fest
Dass Musk am X-Algorithmus schraubt, um rechtsextreme Stimmen zu pushen und seine Plattform dazu nutzt, westliche Demokratien anzugreifen, macht die offizielle Schweiz nervös. Doch die Bundeskanzlei will vorderhand an X festhalten. Gegenüber Blick sagt Sprecher Urs Bruderer, man beurteile die Situation laufend: «Die sozialen Medien verändern sich schnell, Plattformen können an Bedeutung verlieren und neue können entstehen.»
Um von bestehenden Plattformen unabhängiger zu werden, konzipiert die Bundeskanzlei derzeit eine Informations-App für den Bundesrat. Bruderer: «Der Vorteil dieses Kanals wäre, dass er vor Beeinflussungsoperationen abgeschirmt werden könnte.»
SP-Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider kehrte X im Oktober den Rücken, seit diesem Jahr schweigt auf dem Portal auch ihre Partei. Dass SP-Justizminister Beat Jans seine X-Aktivitäten einstellt, scheint nur eine Frage der Zeit. X sei eine ziemliche «Müllhalde», die ihn langweile, sagte er jüngst bei einer Veranstaltung des Verlegerverbands. Aus seinem Departement heisst es bloss, es sei noch nicht entschieden, ob Jans bleibe oder nicht.
Bots und Trolle
In Deutschland forderte die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman die Bundesregierung vergangene Woche dazu auf, X zu verlassen. Getan haben dies der Bundesgerichtshof und zwei Gewerkschaften.
Auch in der Schweiz werden Stimmen lauter, die Bundesrat und Verwaltung zum X-Rückzug auffordern. Mitte-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt sagt: «Die offizielle Schweiz sollte X verlassen.» Es ergebe keinen Sinn mehr, sich auf X auszutauschen, wo bald nur noch Bots und Trolle unterwegs seien.
Ebenso kritisch verfolgt Tarek Naguib diese Entwicklungen, der Koordinator der NGO-Plattform Menschenrechte Schweiz. Elon Musk missbrauche seine Plattform, indem er gezielt Stimmen verstärke, welche die Errungenschaften des Rechtsstaats schlechtredeten. «Durch möglichst viel Getöse versucht er, jene zum Schweigen zu bringen, die sich für Gerechtigkeit und Vernunft einsetzen.» Damit werde der Meinungsäusserungsfreiheit grosser Schaden zugefügt. Und diese sei Grundlage demokratischer Willensbildung. Der Bundesrat solle seine Vorbildfunktion wahrnehmen, sagt Naguib. «Dass Karin Keller-Sutter gerade jetzt einen X-Account eröffnet hat, sendet ein höchst problematisches Signal aus.»
Nationalrat Gerhard Andrey schlägt vor, der Bund solle eine Charta erstellen, in der er die Kanäle regelmässig einschätzt. Die parallele Bespielung von mehreren Kanälen, darunter etwa die X-Alternativen Bluesky oder Mastodon, liesse sich problemlos automatisieren, ist er überzeugt. Dass der Bund die Bürgerinnen und Bürger ausgerechnet in einem «hässlichen Hinterhof» informieren wolle, sei keine seriöse Strategie. Andrey: «Ich erwarte, dass sich der Bundesrat und die Bundeskanzlei darüber Gedanken machen, X zu verlassen.»