Passatwinde, Luftdruckunterschiede und allerlei Wasserströmungen: Vom Wetterphänomen El Niño ist in diesen Monaten oft die Rede. Und trotzdem ist «das Christkind», wie man die um die Weihnachtszeit auftretende Klimaschwankung auch nennt, für Laien schwer vorstellbar. Professor Reto Knutti von der ETH Zürich fasst das Geschehen in Luft und Wasser in einem Satz zusammen: «Alle paar Jahre ist der tropische Pazifik überdurchschnittlich warm und das hat Auswirkungen auf viele Wetterphänomene auf der Welt.»
2015/2016 ist das extremste El-Niño-Jahr seit 15 Jahren. Aufschluss darüber gibt die Wassertemperatur des tropischen Pazifiks, gemessen im Gebiet zwischen Südostasien und Südamerika auf der Höhe des Äquators. Das Klimaphänomen sei aussergewöhnlich gut erforscht, sagt Knutti. Es sei früh beobachtet worden, habe weltweite Auswirkungen, und seit neustem lasse sich dank seiner Prognose auch Geld verdienen.
Die längere Voraussehbarkeit verdankt El Niño dem Ozean. Als «träger» Teil des Klimas macht das grosse Wasser mehrmonatige Prognosen möglich. Im Gegensatz zum Schweizer Wetter, dass nicht von El Niño beeinflusst wird und sich bestenfalls eine Woche im Voraus in die Karten blicken lässt.
Gegen Hunger oder für viel Geld
Wer weiss, wo sich mit grosser Wahrscheinlichkeit Dürre oder Überschwemmung ereignen, kann den Einkauf von Nahrungsmitteln steuern und je nach moralischer Haltung Hungersnot verhindern oder viel Geld verdienen. Auch die Tourismus- und Versicherungsbranche kann von den Voraussagen profitieren. Nicht zuletzt die Wahrscheinlichkeit eines Malaria-Ausbruchs in Afrika lässt sich mehrere Monate im Voraus bestimmen.
«Wenn sich die Passatwinde ändern, ändert sich viel anderes in der atmosphärischen Zirkulation ebenfalls», sagt Knutti: «Einige Verbindungsmuster sind klar, andere weniger.» Klar ist etwa, dass El Niño in den Wintermonaten im Norden der USA für wärmere Temperaturen und Trockenheit und im Süden für kältere Temperaturen und mehr Nässe sorgt. Unbestritten ist auch, dass El Niño die Hurrikan-Aktivität im zentralen und östlichen Pazifik verstärkt und über dem Atlantik unterdrückt.
Weihnachten in New York bei 21 Grad
Dass New York seine Weihnachten bei 21 grädigem T-Shirt-Wetter feierte, steht laut Knutti wahrscheinlich mit El Niño im Zusammenhang. Ebenso wie die Rekordschneefälle in Texas beim diesjährigen Jahreswechsel. Eine mögliche Verbindung sieht Knutti auch beim schweren Sturm über der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires vom 29. Dezember mit Überschwemmungen, Zerstörung und Stromausfällen.
Die Regenfälle in England, die Rekordtemperaturen am Nordpol sowie in der Schweiz der warme und trockene Sommer 2015 und jetzige Winter hingegen seien keine Folge von El Niño.
Trotz gutem Verständnis sei das Klimaphänomen kompliziert zum Beschreiben und Berechnen, sagt Knutti. Dies weil El Niño nicht exakt periodisch, sondern nur «halb regelmässig», konkret alle etwa drei bis sieben Jahre, stattfindet. Ausserdem handelt es sich um ein gekoppeltes System von Luft- und Wasserströmungen.
Schuld an Rekord-Hitzejahr
El Niño sei zu einem grossen Teil dafür verantwortlich, dass 2015 das weltweit wärmste Jahr seit Messbeginn war, sagt Knutti weiter. Weil das Phänomen seinen Höhepunkt eben erst erreicht hat und noch weit ins Jahr 2016 hinein wirkt, dürfte auch dieses Jahr überdurchschnittlich warm werden.
Laut Knutti ist der Klimawandel aber auch ohne El Niño Realität: «Der Klimawandel sorgt für einen langfristigen Trend über eine Zeitspanne von zwanzig bis fünfzig Jahren. Kurzfristige Schwankungen hingegen sind schlicht Zufall – auch El Niño.» Ob die Klimaerwärmung ihrerseits einen Einfluss auf El Niño hat, ist umstritten: «Bis jetzt gibt es keine klaren Hinweise.»