Luzern liegt nicht am Meer. Zum Glück, denn sonst wäre die 80’000-Einwohner-Stadt wahrscheinlich längst an den Touristenmassen erstickt.
In Städten wie Dubrovnik oder Venedig laden Kreuzfahrtschiffe Tausende Touristen gleichzeitig ab. Auch in Barcelona oder Palma de Mallorca haben die Einheimischen genug: Viele verlassen ihre Stadt, die Verbliebenen wehren sich mit Parolen wie «Tourists go home!».
Der Unmut steigt spürbar
Ganz so weit ist es in Luzern noch nicht. Doch auch in der Zentralschweizer Metropole steigt der Unmut. Der gebürtige Luzerner Josef Schmid (58), Fundraiser bei einer Hilfsorganisation: «An gewissen Stellen ist es einfach zu viel geworden. Schauen Sie nur auf den Schwanenplatz!»
Ähnlich klingt es bei Rolf Albisser (63), er ist pensionierter Kaufmann: «Als Luzerner kann man die Altstadt vergessen. Auf dem Markt kommt man kaum mehr an die Stände, und jeder Laden mit einem Angebot, das auch für Einheimische interessant ist, wird ersetzt durch einen Uhren- und Schmuckladen oder die Filiale einer Billigkette.»
Das Luzerner Bekleidungsgeschäft Kofler ist das letzte traditionelle Geschäft in der Einkaufsstrasse Grendel. Filialleiterin Valdeta Ameti (28) stellt jedoch fest, dass immer weniger Einheimische ihre Käufe dort tätigen. Freundinnen von ihr würden die Gegend meiden. Ihre Kollegin ergänzt, dass sie beide nach Feierabend durch die Hintergasse zum Bahnhof gingen – weil es in der Grendelstrasse schlicht kein Durchkommen mehr gibt.
«All dies», sagt Rolf Albisser, «hat in den letzten zwei, drei Jahren extrem zugenommen.» Fundraiser Schmid, der wie Albisser grundsätzlich positiv zum Tourismus steht, warnt: «Ich sehe die Gefahr, dass es in Luzern kippt.»
«Hornissen, die den Pilatus und die Rigi bevölkern»
Einen Vorgeschmack gab eine Kolumne von Kurt Zurfluh (1949–2017) in der «Zentralschweiz am Sonntag» vor zwei Jahren. Unter dem Titel «Ehret Einheimisches» holte der SRF-Moderator zum fremdenfeindlichen Rundumschlag aus, bezeichnete die «Touristen aus Asien» als «Hornissen, die den Pilatus und die Rigi bevölkern». Die Hasstirade löste ein riesiges Echo aus. «Da hat einer in ein Wespennest gestochen», schrieb die «Luzerner Zeitung». Und: «Die Rückmeldungen waren voll der Begeisterung und des Lobes.»
Noch findet man Luzerner wie die Moderatorin und Verkäuferin Sol Spichtig, die sagt, sie habe kein Problem mit dem Tourismus. Läuft die Entwicklung derart rasant weiter, dürften diese Stimmen seltener werden: 8,8 Millionen Tagestouristen besuchen jährlich die Stadt, schätzt Luzern Tourismus. 2013 waren es noch gut fünf Millionen. Zu den Nutzniessern gehören Uhren- und Schmuckfirmen: Bucherer und Gübelin profitierten in den letzten Jahren vom Boom. Auch die Hüter der klammen Stadtkasse freuen sich über die Einnahmen.
Eine Diskussion über die Zukunft des Tourismus tut Not
Der Luzerner Tourismusexperte Jürg Stettler verweist auf Destinationen wie St. Moritz, die mit abnehmenden Logiernächten zu kämpfen haben, und spricht von einer «glücklichen Situation». Aber auch er warnt: «Es geht nur miteinander.» Es brauche deshalb eine breite Diskussion um die Zukunft des Tourismus.
Linus Petermann, Präsident der Luzerner Jungsozialisten, sieht es ähnlich. Doch der Tourismus sei in Luzern eine «heilige Kuh». Petermann beklagt, dass die Altstadt am Abend nach 17 oder 18 Uhr tot sei. Ihm ist der Carpark beim Inseli direkt am See ein Dorn im Auge: Die Luzerner stimmen am 24. September über eine Initiative seiner Partei ab, die den Parkplatz in einen Begegnungsort für Einheimische und Touristen umfunktionieren will. Die Tourismus-Akteure bekämpfen die Vorlage.
Ein Ja würde zwar an der Situation in der Altstadt nichts ändern. Doch Petermann sieht den Urnengang als Stimmungstest: Eine starke Zustimmung würde in der Stadt auch als Votum gegen die Entwicklung im Tourismus verstanden. Es würde den Druck auf alle Akteure erhöhen, eine Lösung für die negativen Auswirkungen zu suchen – gemeinsam mit der Bevölkerung.
Interview: Florian Blumer
SonntagsBlick: Einheimische sagen, sie mieden die Altstadt. Hat Luzern ein Tourismusproblem?
Sibylle Gerardi: Nein. Wir sind noch weit weg von Zuständen wie in Venedig. Wenn man den Tourismus will, muss man auch mit vereinzelten negativen Begleiterscheinungen leben. Er ist in Luzern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber.
Viele sagen, sie hätten nichts vom Massentourismus.
Wir haben keinen Massentourismus. Der Anteil des Gruppentourismus beträgt weniger als 30 Prozent, und auch der ist wichtig, auch wenn nicht alle Akteure gleich viel profitieren. Auch dank unserer Gäste haben wir eine hohe Lebensqualität: Viele Institutionen wie das KKL oder die Schifffahrt gäbe es sonst nicht.
Und doch sind viele Luzerner unzufrieden. Müsste man jetzt nicht handeln?
Die grosse Mehrheit steht hinter dem Tourismus. Wir sind sehr nahe bei Bevölkerung und Politik. Und betreffend Gästemix sind wir gut aufgestellt: Die grösste Besuchergruppe sind die Schweizer, gefolgt von den Amerikanern. Aus China haben wir in den letzten Jahren einen Anstieg von Individualreisenden festgestellt.
Sollte die Bevölkerung nicht stärker miteinbezogen werden?
Dies findet bereits statt – ohne die Unterstützung der Bevölkerung wäre ein erfolgreicher Tourismus nicht möglich. Wir pflegen Kontakt zu den Quartiervereinen, führen jährlich öffentliche Veranstaltungen zur Kultur unserer Gäste oder der Zukunft des Tourismus durch. Und Ende Jahr gibt es jeweils einen Dankes-Event für die Bevölkerung.
Interview: Florian Blumer
SonntagsBlick: Einheimische sagen, sie mieden die Altstadt. Hat Luzern ein Tourismusproblem?
Sibylle Gerardi: Nein. Wir sind noch weit weg von Zuständen wie in Venedig. Wenn man den Tourismus will, muss man auch mit vereinzelten negativen Begleiterscheinungen leben. Er ist in Luzern ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber.
Viele sagen, sie hätten nichts vom Massentourismus.
Wir haben keinen Massentourismus. Der Anteil des Gruppentourismus beträgt weniger als 30 Prozent, und auch der ist wichtig, auch wenn nicht alle Akteure gleich viel profitieren. Auch dank unserer Gäste haben wir eine hohe Lebensqualität: Viele Institutionen wie das KKL oder die Schifffahrt gäbe es sonst nicht.
Und doch sind viele Luzerner unzufrieden. Müsste man jetzt nicht handeln?
Die grosse Mehrheit steht hinter dem Tourismus. Wir sind sehr nahe bei Bevölkerung und Politik. Und betreffend Gästemix sind wir gut aufgestellt: Die grösste Besuchergruppe sind die Schweizer, gefolgt von den Amerikanern. Aus China haben wir in den letzten Jahren einen Anstieg von Individualreisenden festgestellt.
Sollte die Bevölkerung nicht stärker miteinbezogen werden?
Dies findet bereits statt – ohne die Unterstützung der Bevölkerung wäre ein erfolgreicher Tourismus nicht möglich. Wir pflegen Kontakt zu den Quartiervereinen, führen jährlich öffentliche Veranstaltungen zur Kultur unserer Gäste oder der Zukunft des Tourismus durch. Und Ende Jahr gibt es jeweils einen Dankes-Event für die Bevölkerung.