«Unser Tisch wird etwas weniger gedeckt sein als sonst»
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Exil-Weihnachten ohne Papa:«Unser Tisch wird etwas weniger gedeckt sein als sonst»

Ein wenig Weihnachtsfreude in Kreuzlingen TG
So feiern Ukrainer trotz allem das Fest

Vater, Hund und Schildkröten blieben in Kiew, der Rest der Familie Martynova flüchtete nach Kreuzlingen TG. Wie sich Weihnachten im Exil anfühlt, und was aufgetischt wird.
Publiziert: 25.12.2022 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 25.12.2022 um 04:49 Uhr
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Weihnachten fern von zu Hause: Evgenia, Vova (17) und Tanya (14) feiern Weihnachten dieses Jahr im Schweizer Exil in Kreuzlingen.
Foto: Siggi Bucher
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Tobias MartiRedaktor SonntagsBlick

Es könnte alles sein wie immer. Den Tisch zieren ein kleiner Christbaum und brennende Kerzen, eine Lebkuchenschachtel und ein Tannenzweig künden die Festtage an. Aber der Schein trügt, bei Familie Martynova ist nichts wie sonst. «Es wird anders werden, leider geht es nur so», sagt Mutter Evgenia (44).

Vor einem Jahr feierten Evgenia, Vova (17) und Tanya (14) Weihnachten gemeinsam in der Ukraine. Am 7. Januar war das, wie es sich fürs orthodoxe Fest gehört. Zwölf Gerichte, darunter ein Truthahn, tischten sie im Kreise ihrer Liebsten auf. Am nächsten Tag besuchten sie Freunde und Verwandte.

Heute, ein Jahr und ein russischer Angriffskrieg später, sitzen die drei in ihrer Wohnung in Kreuzlingen TG, einem Ort, von dem sie zuvor nie gehört hatten, 2000 Kilometer weit weg von daheim.

Als der Krieg am 24. Februar losbrach, ergab sich für Sohn Vova eine Fluchtmöglichkeit in die Schweiz. Der hiesige Eishockeyverband organisierte für talentierte ukrainische Eishockeyspieler wie ihn die Flucht in die Schweiz. Der junge Mann bestieg allein den Zug in Kiew, aber bereits nach drei Wochen reisten Mutter und Schwester nach. «Ich wollte nahe bei meinem Sohn sein», sagt Evgenia, eine studierte Ökonomin, die als Masseurin arbeitet.

Der Mann musste bleiben

Zurückgeblieben in ihrem Appartement nahe Kiew ist Mann Andrey (42), der nicht ausreisen durfte, wie dies bei vielen anderen ukrainischen Familien auch der Fall ist. «Jeden Tag telefonieren wir, wenigstens gibt es Videoanrufe», sagt Evgenia. Gute Neuigkeiten seien für sie, wenn es daheim ruhig bleibe. Die schlimmsten Tage seien jene, an denen die Bomben fallen. «Manchmal fühle ich mich wie in einem Albtraum», sagt die Mutter. Licht und Internet funktionieren nur teils, immerhin leisten Söma, ein kleiner Mops und zwei Schildkröten dem Mann Gesellschaft.

Theoretisch könnte die Familie Martynova an Weihnachten für 14 Tage in die Heimat reisen, wie alle anderen 74'000 geflüchteten Ukrainerinnen auch, ihr Schutzstatus würde dies zulassen. Aber die Reise sei viel zu teuer, winkt Evgenia ab. 250 Franken pro Person und Weg, was zu dritt hin und zurück 1500 Franken macht. Ganz zu schweigen von den Gefahren.

«Am liebsten würde ich heute schon heim», sagt Sohn Vova. Und auch Tochter Tanya vermisst ihre Freunde und natürlich Mops Söma. Tatsächlich kennt Evgenia Martynova Ukrainer, die wieder heimgekehrt sind. Nicht wenige von ihnen seien nun abermals in die Schweiz geflüchtet, weil die Lage zu Hause dann doch zu gefährlich und entbehrlich gewesen sei. Sie selber will erst dann heim, «wenn meine Kinder in Sicherheit aufwachsen können». Für Weihnachten haben alle drei nur einen Wunsch. «Dass der Krieg bald endet.»

Ablenkung hilft

Und so üben sie sich in Optimismus und feiern trotz allem das Fest. «Es hilft mir, wenn ich mich betätige, dann hat der Kopf Ruhe», sagt Evgenia. An Heiligabend wird Kutya aufgetischt, ein Weizenporridge mit Honig, Mohnsamen, Weinbeeren und kandierten Früchten. Die Tradition will es, dass Nichten und Neffen die Speise ihrer Gotte oder dem Götti kredenzen. Und diese verteilen im Gegenzug Süssigkeiten, Geschenke oder Geld.

Zwölf Gänge wie üblich wird es diese Exil-Weihnachten nicht geben, aber natürlich lässt sich Evgenia nicht lumpen. Dem Jungen sein Lieblingsgericht, ein Salat mit Fisch und Gemüse. Später eine Schokoladentorte und nicht zu vergessen: der russische Salat. Obwohl «Russland» zu einem Unwort wurde, versuche sie, keinen Hass gegen die Menschen dieser Nation zu haben, sagt Evgenia. «Das macht einen sonst im Inneren kaputt.»

Und dann ist da noch die Festtagseinladung von Familie Müller. Die Schweizer nahmen sie zwei Monate bei sich daheim auf, halfen ihnen, in der Fremde Fuss zu fassen. Selbstverständlich haben sie die Einladung angenommen.

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