Es vergeht kein Tag ohne Diebstahl. Zum Teil erwische ich acht Personen am Tag. Lebensmitteldiebe sind zum grössten Teil Stammkunden. Sie kommen immer wieder, bis zu dreimal täglich, bauen Vertrauen zur Kassiererin auf, erzählen von den Ferien – alles, damit sie nicht kontrolliert werden. Eine ältere Frau hat in ihrer Nachbarschaft jeweils gefragt, was diese brauchen, klaute Entsprechendes im Laden und verkaufte es dann den Nachbarn.
Kürzlich konnte ich ein Ehepaar fassen. Beide klauten, wussten es aber nicht voneinander. Die Frau schickte den Mann zum Gemüseholen und steckte dann ein Spraydeo ein. Er liess ein Stück Fleisch in der Jackentasche mitgehen. Häufig erwische ich gebildete und wohlhabende Leute, die stehlen, als ob es eine Krankheit wäre.
Butter in der Unterhose
Einmal hat ein Mann zwei Stück Kochbutter geklaut und sie in seiner Unterhose versteckt. Er bestand darauf, nichts gestohlen zu haben. Bei der Kontrolle schubste er mich. Aber es wurde ihm dann wohl unangenehm, das ist ja auch ziemlich kalt. Er wollte unbedingt aufs WC. Ich sagte: Ja, aber zuerst leerst du das. So erwischten wir ihn.
An den Self-Check-out-Kassen wird häufig unkorrekt getippt. Dort haben wir viel mit Jugendlichen zu tun. Sie fühlen sich unbeobachtet, scannen nicht alles. Letzthin füllte eine Hausfrau ihren ganzen Wagen, scannte aber nur zwei Artikel. Als ich sie ansprach, meinte sie, sie habe es vergessen. Ich frage mich schon, wie man so dreist sein kann.
In meinem Beruf braucht es ein spezielles Gespür. Ich achte darauf, wie jemand in den Laden kommt. Wie läuft er? Macht er ungewöhnliche Bewegungen? Ich verhalte mich wie ein Kunde, trage ein Körbli, telefoniere und kaue Kaugummi, das entspannt meinen Gesichtsausdruck. Erwische ich jemanden, muss ich warten, bis die Kassenzone passiert ist. Dann halte ich die Betreffende an.
Den meisten ist es extrem peinlich. Einige werden aggressiv, andere entschuldigen sich. Ich versuche diskret zu sein, auch mir ist es unangenehm. Einmal haben wir einen Mann in Anwesenheit seiner Frau beim Stehlen erwischt. Später erfuhr ich, dass er IT-Spezialist ist. In Anwesenheit seiner Frau fragte ich ihn, ob er helfen könne – wir hätten Probleme mit unserem System. Er war mir sehr dankbar.
Wir fragen die Leute nicht, warum sie gestohlen haben. Ich vermute, dass es bei vielen zu einer Art Zwang wird. Man kommt ein-, zwei- oder dreimal durch damit, es hat keine Konsequenzen, und dann tut man es wieder. Einmal habe ich eine Frau in einer Führungsposition erwischt, sie sagte mir: ‹Es ist so einfach zu klauen, warum sollte ich zahlen?› Viele blenden die Konsequenzen aus: Neben der Umtriebsentschädigung kommt eine Anzeige hinzu und vielfach auch ein Hausverbot.
Dass Menschen aus Armut stehlen, kommt vor – aber sehr selten. Wir merken das, wenn wir Einsätze in einem Laden haben, der in der Nähe eines Asylheims liegt.
Jeder hat seinen eigenen Stil. Profis tragen einen Nierenschutz, stecken dort vier oder fünf Paar Schuhe hinein, dann ein Hemd drüber, das eine Nummer zu gross ist. Da siehst du nichts. Andere haben mit Alufolie gepolsterte Taschen, die setzt die Alarme ausser Kraft. Andere tauchen die Kleidersicherung in Cola-Flaschen, dann piepst es zwar noch, aber viel leiser.
Was bringen Kameras?
In der Schweiz sind Diebesbanden leider sehr aktiv. Ein neuer Trend ist, dass sie Taschen mit teuren Kleidern füllen und dann einfach wegrennen. Wenn es drei oder vier Ausgänge gibt und wir nicht in der Nähe sind, haben wir kaum Chancen, sie zu erwischen. Mit der Videoüberwachung können wir sie vielleicht später identifizieren, aber abschrecken lassen sie sich nicht durch Kameras. Ich habe in meiner ganzen Karriere noch nie einen Dieb dank einer Kamera gefasst.
Die grössten Diebstähle werden übrigens intern begangen, vom Personal. Wenn man ständig sieht, was andere kaufen und dabei selbst so wenig verdient.
Heute arbeiten in meiner Firma knapp ein Dutzend Leute. Es gibt eine Ausbildung zum Ladendetektiv, da lernt man, was rechtlich möglich ist. Wichtig ist aber vor allem das Gspüri. Mit Bewerbern gehe ich oft in ein Geschäft, stelle ihnen Fragen, achte aber in Wirklichkeit darauf, ob sie Diebe bemerken. Meine Tochter hat meinen Instinkt offenbar geerbt. Vor zwei Jahren, da war sie neun, waren wir im Laden, sie zeigte auf eine Frau und meinte: ‹Papi, die Frau klaut.› Wir haben sie dann beobachtet und hinter der Kasse angehalten. Tatsächlich: Ihre ganze Tasche war mit Sachen gefüllt, die sie nicht bezahlt hatte.»