Seit zwei Jahren besucht Helga Hegetschweiler (79) aus Zürich-Witikon ihren an Alzheimer erkrankten Ehemann tagtäglich im Pflegeheim. Sie bringt ihrem Albert (85) Guetzli, plaudert mit ihm oder nimmt ihn auch einmal an einem Sonntag zu einem Kaffee mit nach Hause. «Mein Mann ist das Wichtigste in meinem Leben. Ich liebe es, ihn zu verwöhnen», sagt sie zu BLICK.
Dann kommt Corona. Seit sieben Wochen darf Helga ihren geliebten Albert nicht mehr besuchen. «Es zerreisst mir das Herz, ihn nicht zu sehen. Es tut schaurig weh», sagt Helga. Auch für ihren Albert sei die Situation nicht leicht: «Mein Ehemann hat Alzheimer. Ich bin die Einzige, die er noch erkennt.»
«Ich liebe dich» mit Kartonherz
In der Not wird die Seniorin erfinderisch: Aus Karton bastelt sie ein Herz, stellt sich nun täglich vor das Pflegeheim Kienastenwies in Witikon und winkt ihrem Albert zu. Von seinem Balkon aus, im sechsten Stock, erwidert er den Gruss seiner Helga.
Von zwei Stunden täglicher Besuchszeit auf ein Winken von weitem zu reduzieren, sei natürlich eine extreme Umstellung. «Es macht mich krank, ihn so lange nicht besuchen zu dürfen.»
Nicht das Virus, die Einsamkeit macht krank
Weshalb sie nicht hochkommen kann, verstehe ihr Mann nicht: «Er ruft mir immer, ich solle zu ihm kommen. Doch das ist leider nicht möglich.» Für Alzheimer-Patienten sei es völlig unverständlich, wieso ihr Besuch derzeit ausbleibe.
«Das tut mir natürlich weh für ihn», erklärt Helga. Die Rentnerin ist überzeugt, dass Alzheimer-Patienten viel Liebe und Zuneigung benötigen: «Am Ende sterben sie nicht am Virus, sondern an der Einsamkeit.»
Wie die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich am Donnerstag mitteilt, soll mit der Einsamkeit bald Schluss sein: Die Besuchsverbote in den Alters- und Pflegeheimen werden ab Donnerstag gelockert. Statt sechs Stockwerke trennt die beiden also bald «nur» noch eine Plexiglasscheibe.
Erster Kuss auf Zürcher Albispass
Dass ihr Mann schwer an Alzheimer erkrankt ist, sei nicht immer leicht, gesteht Helga Hegetschweiler. Der Roman «Still Alice» von Lisa Genova helfe ihr, besser mit der Krankheit umzugehen. Zudem gebe ihr die jahrelange innige Liebe Kraft: «Wir haben gemeinsam so viele Höhen und Tiefen erlebt. Das schweisst zusammen.»
Die beiden verbindet eine ganz besondere Liebesgeschichte: Seit bald 57 Jahren sind sie verheiratet. Kennengelernt hätten sie sich vor über 60 Jahren in einem Lokal im Zürcher Niederdörfli. «Da Albert in der Stadtverwaltung tätig war, konnte er meine Telefonnummer ausfindig machen», so Helga.
Es folgten zahlreiche romantische Rendez-vous. Helga Hegetschweiler wird ganz verlegen, als sie in Erinnerungen an ihren ersten Kuss schwelgt: «Mit einem alten VW-Käfer sind wird auf den Albispass gefahren. Mit einem wunderschönen Ausblick auf ganz Zürich haben wir uns dann zum ersten Mal geküsst.» Von diesem Moment an waren die beiden unzertrennlich: 1963 folgte die Hochzeit in der Kirche in Witikon. Und ein paar Jahre später wurde ihr gemeinsamer Sohn Daniel (54) geboren.