Die grösste Tierschutzorganisation des Landes kommt nicht zur Ruhe. Im Gegenteil: Der Machtkampf in der Führungsriege des Schweizer Tierschutzes (STS) eskaliert weiter. Nun könnte es zum finalen Showdown kommen. 22 Sektionen fordern eine sofortige ausserordentliche Delegiertenversammlung. Dort soll auch über das Schicksal der Präsidentin abgestimmt werden.
Zwei Lager stehen einander unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite: Tierschutz-Chefin Nicole Ruch (55), Credit-Suisse-Bankerin aus Biel BE. Sie hat die wenigen verbliebenen Mitglieder des Zentralvorstands um sich geschart. Alle anderen wurden suspendiert oder sind ihretwegen zurückgetreten.
Ihr gegenüber steht eine wachsende Gruppe, angeführt von SP-Nationalrätin Martina Munz und ETH-Agraringenieur Michel Roux. Die wurden von Ruch aus dem Vorstand gedrängt, nachdem sie auf finanzielle Ungereimtheiten aufmerksam gemacht und massive Kritik an ihrer Chefin geübt hatten: Die Bankerin verhalte sich wie eine «Alleinherrscherin». Sie führe autoritär und intransparent.
Versammlung abgesagt
Für den 4. November wäre eigentlich eine ordentliche Delegiertenversammlung geplant gewesen. Der Grossteil der Sektionen hatte sich bereits angemeldet. An diesem Tag hätten die Streitigkeiten endgültig beigelegt werden sollen. Vizepräsident Piero Mazzoleni bot sich als Übergangspräsident an. Er hatte Ruch kürzlich im SonntagsBlick nahegelegt, ihr Amt abzugeben.
Mehr zum Zoff beim STS
Dann sagten Ruch und ihre Gefolgsleute die Versammlung kurzerhand ab. Laut Jürg Wildberger, der die Krisenkommunikation für die Tierschutzpräsidentin übernommen hat, ist für Juni 2024 ein neuer Termin anberaumt. Laut einem langjährigen Mitarbeiter des hausinternen Tierschutz-Rechtsdienstes war die Absage «klar gesetzes- und statutenwidrig».
Das brachte viele Tierschutz-Sektionen auf die Barrikaden. Unter ihnen: Aargau, Graubünden, Locarno TI, Wallis, Waadt, Olten SO, Schwyz und Winterthur ZH. Sie alle fordern eine ausserordentliche Delegiertenversammlung. Gemäss STS-Statuten muss der Verband die Sondersitzung nun binnen zwei Monaten einberufen.
Chefs sehen keine Dringlichkeit
Die Tierschutzführung indes sieht keinen Grund zur Eile. Jürg Wildberger: «Es besteht keine Dringlichkeit, jetzt eine ausserordentliche DV einzuberufen.» Ein solcher Schritt wäre verfrüht und würde zudem die Umsetzung von bereits eingeleiteten Massnahmen gefährden. Der Krisenkommunikator: «Nach den Unruhen in den letzten Monaten ist es wichtig, diese Massnahmen in Ruhe und Klarheit umzusetzen.»
Laut Wildberger hat der Zentralvorstand entschieden, dass interne Arbeitspapiere gegenüber interessierten Delegierten offen gelegt werden. Darunter auch ein Prüfbericht, der Mängel in der Immobilienbewirtschaftung des STS sichtbar macht. Wildberger: «Wir müssen unsere Energie jetzt in die Restrukturierung investieren.»
Vielen Sektionen genügt das nicht. SonntagsBlick liegen interne Mails vor. Sie zeigen, wie vergiftet die Atmosphäre innerhalb des STS mittlerweile ist. Eine Sektion schreibt vom «unverschämten und rechtswidrigen Vorgehen der Präsidentin», eine andere fordert: «Die Durchführung der DV ist angesichts der wohl grössten Krise des STS dringendst geboten.»
Erste Sektionen fordern mittlerweile sogar offen den Rücktritt von Nicole Ruch. Der Dachverband der Berner Tierschutzorganisationen schreibt: «Wir legen der Präsidentin nahe, im Interesse der Tiere, des Tierschutzes und der für das Wohl der Tiere mit grossem Engagement arbeitenden Sektionen des STS umgehend selbst zurückzutreten.»
STS kündigt dem Hausjuristen
Von der angespannten Stimmung innerhalb des Verbandes zeugt auch ein Eklat von letzter Woche. SonntagsBlick-Recherchen zeigen: Die Tierschutzführung hat seinem Hausjuristen gekündigt, der 18 Jahre für den STS tätig war – nun wurde er per sofort freigestellt – er geht von einer Racheaktion aus.
In einem internen Mail schreibt der Entlassene: «Die Kündigung war wohl eine Folge davon, dass ich mich in die Diskussion im Vorstand über die Verschiebung der Delegiertenversammlung vom 4. November eingebracht habe.» Er habe die Vorstandsmitglieder vor einem weiteren Vertrauensverlust des Tierschutzes in der Öffentlichkeit gewarnt – und darauf hingewiesen, dass die kurzfristige Absage gesetzes- und statutenwidrig sei.
War die Kündigung dieses Mannes also eine Retourkutsche? Die Tierschutzführung will zu Personalfragen aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht öffentlich Stellung nehmen.