Drei Zürcher Polizisten vor Gericht
«Geh doch zurück nach Afrika»

Laut Staatsanwaltschaft schlugen die Beamten auf Wilson A. (43) ein, würgten und beschimpften ihn. Er fürchtete um sein Leben, sagt er vor dem heutigen Prozess zu BLICK.
Publiziert: 20.11.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 21:13 Uhr
Roland Gamp

Mit einem Kollegen fährt Wilson A.* (43) im Tram durch Zürich. Bei der Haltestelle Werd steigen Polizisten ein. «Sie kamen direkt auf uns zu, wollten unsere Ausweise sehen», sagt A. «Wir fragten, warum nur wir  kontrolliert werden. Ob es daran liege, dass wir schwarz seien.»

Danach artet die Situation aus. So sehr, dass sich die drei Polizisten heute vor Gericht verantworten müssen. Sie sind wegen Körperverletzung und Amtsmissbrauch angeklagt. Laut Staatsanwaltschaft spielte sich der Vorfall wie folgt ab: Die Polizisten fordern die Männer auf, das Tram zu verlassen. A. bittet, nicht angefasst zu werden – er ist herzkrank und trägt einen integrierten Defibrillator. Kaum aus dem Tram, bekommt er eine Ladung Pfefferspray ab. «Ohne dass er Anlass für einen solchen Einsatz gegeben hätte», heisst es in der Anklageschrift. «Alle drei Beschuldigten traktierten den Privatkläger mit Schlägen.» Einer von ihnen packt A. am Hals, würgt ihn «minutenlang». Der Mann wird zu Boden gebracht, in Handschellen gelegt. «Die Beschuldigten traktierten ihn weiterhin mehrfach mit Fäusten und Polizeimehrzweckstöcken.» Einer sagte: «Scheiss Afrikaner, geh zurück nach Afrika!»

Fast einen Monat lang arbeitsunfähig

«Als ich am Boden lag, dachte ich an meine Tochter. Ich hatte Angst, dass ich sie nie wiedersehe», sagt A. heute. Laut Anklageschrift erlitt er einen Bruch an einem Lendenwirbel, Prellungen und Quetschungen an Unterkiefer, Hals, Wirbelsäule, Knien und Handgelenken sowie eine Leistenzerrung. Fast einen Monat war er arbeitsunfähig.

Der Vorfall liegt sieben Jahre zurück. Damals erstattete A. Anzeige. Die Zürcher Staatsanwaltschaft ermittelte, stellte das Strafverfahren aber zweimal ein. Die Polizisten hätten übereinstimmend rapportiert, die Aggressionen seien von A. ausgegangen. Die eingesetzten Mittel seien angemessen gewesen.

A. zog daraufhin den Fall bis vor Bundesgericht. Dieses entschied, es sei nicht sicher, ob die Polizisten unschuldig sind. Deshalb kommt der Fall heute doch vor das Zürcher Bezirksgericht.

Hohe Dunkelziffer

Die Schilderungen von A. erinnern an Vorfälle von rassistischer Polizeigewalt in den USA. «Die Situation in der Schweiz lässt sich damit glücklicherweise nicht vergleichen», sagt Martine Brunschwig Graf (66), Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR). «Es gibt aber auch hier Einzelfälle, in denen Schwarze zu Opfern von übermässiger Gewalt durch die Polizei werden.»

2014 berichtete die EKR über einen Schwarzen, der sich wegen einer Polizeikontrolle diskriminiert fühlte. «Es folgte ein Handgemenge, wobei auch ein Elektro-Taser eingesetzt wurde. Der Betroffene wurde so schwer verletzt, dass die Polizei ihn zu einem Arzt bringen musste», heisst es im Bericht. Laut dem Beratungsnetz für Rassismusopfer widersetzte sich ein Schwarzer 2015 einem Alkoholtest. «Weil der Klient dieser Aufforderung nicht nachkam, zogen sich die Polizisten Handschuhe an und misshandelten den Mann mit Faustschlägen und Tritten. Er gibt an, zeitweise bewusstlos gewesen zu sein.»

Eine Statistik zu solchen Fällen gibt es nicht. Allerdings meldeten sich beim Beratungsnetz für Rassismusopfer im letzten Jahr 16 Betroffene von Racial Profiling – also Polizeikontrollen aufgrund der äusseren Erscheinung. «Die Dunkelziffer ist wahrscheinlich noch deutlich höher, da sich nur wenige Betroffene an eine Beratungsstelle wenden», sagt Brunschwig Graf.

Seit diesem Monat setzt sich die «Allianz gegen Racial Profiling» für Betroffene ein. Mitbegründer Tarek Naguib (40): «Fast jede dunkelhäutige Person, aber auch Gruppen wie zum Beispiel Roma oder Menschen nordafrikanischer Herkunft haben in der Schweiz diskriminierende Kontrollen erlebt.» Die Praxis der Behörden sei «Ausdruck von institutionellem Rassismus, der in allen Polizei- und im Grenzwachtkorps vorkommt.» Kontrollen nach äusserer Erscheinung würden das Diskriminierungsverbot verletzen. «Zudem fühlen sich Betroffene herabgewürdigt. Und auch das Vertrauen in die Polizei geht so verloren.»

Die Polizisten würden sensibilisiert

Die Beschuldigten im Fall A.  wollen sich nicht äussern. Marco Cortesi (60) von der Stadtpolizei Zürich hält fest: «Dunkelhäutige stehen nicht unter Generalverdacht.» Personenkontrollen würden immer wieder Anlass zu Vorwürfen wegen Rassismus geben. «Beim Thema Racial Profiling schaut die Stadtpolizei darum sehr genau hin.»

Man habe extra das Projekt «Polizeiarbeit in urbanen Spannungsfeldern» ins Leben gerufen. «Dort werden Themen wie Racial Profiling, Umgang mit Personenkontrollen oder Beschwerdemöglichkeiten fundiert und von allen Seiten angeschaut.» Auch in der Ausbildung würden Polizisten bei diesen Themen seit Jahren sensibilisiert.

Die heutige Verhandlung wühlt A. auf: «Wenn ich an diese Nacht zurückdenke, kommt die ganze Angst wieder hoch.» Die Chancen vor Gericht seien klein – doch das sei nebensächlich. «Polizeigewalt gegen Schwarze gibt es auch in der Schweiz. Ich möchte allen Opfern Mut machen und ihnen zeigen, dass sie sich wehren müssen.»

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