Drei Tage die Woche leer, zwei Tage voll – Kitas in Zürich in der Krise
«Wir haben schlicht nicht mehr genügend Kinder»

Hochstand bei Kita-Plätzen, Kita-Krise in Zürich – und die Politik ringt um Subventionen. Bei der Betreuung gibt es einen Stadt-Land-Graben.
Publiziert: 20.02.2025 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 20.02.2025 um 20:59 Uhr
Immer mehr leere Plätze: In Zürich und Agglomeration fehlt es zunehmend an Kindern.
Foto: Keystone

Auf einen Blick

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Tina Fischer
Handelszeitung

Von «Kunterbunt» über «Alibaba» bis «Kinderloft» – in den vergangenen zwei Jahren schlossen diverse Kitas in der Stadt Zürich ihre Tore. Nur wenige können ihre Kindergruppen ausbauen. Und wenn, dann nur, weil sie vom Konkurs anderer profitieren, wie beispielsweise die Kita «Sunnige Hof», als die Kita «Kinderloft» ihre Pforten schloss. Doch ansonsten hat die Nachfrage nach Kita-Plätzen markant nachgelassen. In der Agglomeration werben Tagesstätten mit Plakaten, auf denen in grossen Lettern steht: «Wir freuen uns, Ihr Kind betreuen zu dürfen» – und das in unmittelbarer Nähe zu zwei weiteren Kitas.

Es ist ein Kampf um die Kinder. Wer die eigenen Plätze nicht füllen kann, muss früher oder später den Betrieb einstellen. Doch ist das eine Zürcher Momentaufnahme und lockert sich die Situation bald wieder für Kita-Betreiber? Oder ist es ein städtisches, gar ein schweizweites Phänomen, dass Kitas bald reihenweise schliessen müssen?

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Für Zürich kennt Regula Gmür, Geschäftsführerin vom Verein Kinderkrippe Auzelg, die Antwort: «Das Maximum an Kitas in Zürich und Umgebung ist erreicht. Wir haben schlicht nicht mehr genügend Kinder.»

Die Gründe für die geringe Nachfrage in Zürich

Sie verortet in der Teilzeitarbeit einen Treiber dafür, dass es in Zürich ein Überangebot an Betreuung gibt. «Wir haben inzwischen viele gut situierte Eltern, die es sich leisten können, Teilzeit zu arbeiten oder Homeoffice zu machen. Deshalb kommen die meisten Kinder maximal zwei bis drei Tage pro Woche in die Kita», erklärt Regula Gmür.

Die meisten Teilzeitarbeitenden wünschten dabei ein verlängertes Wochenende, während die Eltern schulpflichtiger Kinder am Mittwoch freinehmen. Die Folge: «Montag, Mittwoch und Freitag sind die Kitas halb leer, Dienstag und Donnerstag hingegen voll.» Eine Herausforderung für Kitas, die genügend Betreuerinnen und Betreuer aufbieten müssen für die vollen Kita-Tage, gleichzeitig aber an den halb leeren Tagen kaum genügend Arbeit bieten können.

Abhängig sind die Kitas aber nicht nur vom Arbeitspensum der Eltern, sondern auch von Überbauungen. Auf dem Zwicky-Areal in Dübendorf entstanden vor rund zehn Jahren diverse Neubausiedlungen, in die Familien einzogen. Erst waren die Kitas gut ausgelastet. «Doch nach einigen Jahren sind fast alle Kinder im Schulalter, die Familien bleiben im Quartier, und der Nachwuchs fehlt in den Kitas», so Gmür.

Vor der gleichen Situation steht Zürich-Schwamendingen: Hier entstehen viele Neubauten, während günstige Familienwohnungen bereits leer stehen und bald abgerissen werden. Die Geschäftsführerin rechnet damit, dass es in bis zu vier Jahren, wenn alles einzugsbereit ist, wieder mehr Kinder geben wird. Allerdings erwartet sie keinen Boom, da aufgrund der teuren Mieten vermutlich eher Familien mit weniger Kindern in die Neubauten ziehen dürften.

Das hohe Preisniveau in der Stadt beeinflusst daher auch zunehmend die Familienplanung. Laut Klemens Rosin, Methodiker bei Statistik Stadt Zürich, nahmen in den letzten Jahren in Zürich vor allem die Geburtenzahlen beim ersten Kind deutlich ab; viel stärker als in der gesamten Schweiz. Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Die häufigste Erklärung ist, dass sich viele Paare vor der Erfüllung des Kinderwunsches überlegen, ob sie sich nach der Gründung einer Familie eine teurere, grössere Wohnung tatsächlich leisten können – und ob es im städtischen Umfeld überhaupt möglich ist, eine solche zu finden.

Damit ist Zürich nicht allein. Schliessende Kitas und kinderlose Paare in der Stadt: Dieses Bild beobachtet auch Alex Haller, Leiter Abteilung Familie & Quartier der Stadt Bern. In der Nachrichtensendung «10 vor 10» betonte er, dass in der Bundesstadt heute weniger Familien mit kleinen Kindern wohnten.

Subventionen führen zu Umzügen

Auch in Basel hat sich in den letzten Jahren im Kita-Bereich einiges getan. Der Kanton hat inklusive GLP eine links-grüne Mehrheit im Parlament, der soziale Gedanke steht im Vordergrund. Entsprechend postulierte der Stadtkanton eine eigene Finanzregelung: Ein Vollzeit-Kita-Platz kostet hier maximal 1600 Franken pro Monat. Zum Vergleich: In der Stadt Zürich sind es im Schnitt um die 2800 Franken.

Dieser markante Preisunterschied bei den Betreuungskosten hatte spürbare Effekte. Herrschten in Basel vor Inkrafttreten der Subventionierung ähnliche Zustände mit Kita-Schliessungen wie in Zürich, zügeln jetzt Eltern aus dem Kanton Basel-Landschaft in die Stadt Basel, um vom günstigen Betreuungsangebot zu profitieren. Auf dem Land kämpfen die Kitas derweil mit der sinkenden Betreuungsnachfrage.

Ein Umstand, den Maximiliano Wepfer von Kibesuisse, dem Verband Kinderbetreuung Schweiz, kennt – und grundsätzlich begrüsst: «In Basel-Stadt stimmen die finanziellen Bedingungen: Der Tarif für Eltern ist gedeckelt. Und man hat den Lohn von Betreuungspersonen erhöht. Die Folge: Familien und Betreuungspersonen ziehen nach Basel-Stadt.» Der Stadtkanton hat also in seinen Augen die Hausaufgaben gemacht, die anderen Kantone sollten seinem Beispiel folgen. Am liebsten auf Bundesebene.

Politisches Hickhack seit 22 Jahren

Soll also das Beispiel Basel-Stadt schweizweit Schule machen? Das ist eine grosse Streitfrage. Denn um Kita-Subventionen tobt auf Ebene des Bundes ein Grabenkampf. Seit 22 Jahren zanken sich National- und Ständeräte um die korrekte Anstossfinanzierung der Kita-Plätze. Jetzt verlangt ein parlamentarischer Vorstoss, dass der Bund diese Praxis beendet. Ausgangspunkt war ein Vorschlag des Nationalrats, dass der Bund jährlich 710 Millionen Franken für die Kinderbetreuung aufwenden soll. Die Kritikerschar lehnt dies ab mit dem Argument, dass dies eigentlich Aufgabe der Gemeinden und des Kantons sei. Der jüngste Vorschlag des Ständerats beinhaltet, dass die Kosten nun via Familienausgleichskasse von den Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden finanziert würde statt durch den Bund.Das würde wiederum der Wirtschaft nicht gefallen, weil die Lohnnebenkosten steigen.

Die Gegner der Bundessubvention führen ins Feld, dass die Zuschüsse zwar in Basel-Stadt funktionieren, in Bern hingegen, wo Eltern Betreuungsgutscheine erhalten, nicht: Denn dort schliessen Kitas mangels Nachfrage weiterhin.

Der Bund unterstützte bereits über Jahre die Schaffung von rund 77’000 neuen Betreuungsplätzen mit knapp 480 Millionen Franken. Heute herrscht ein Hochstand an Kita-Plätzen. Pierre Lüssi, Doktorand am Institut für Politikwissenschaften der Universität Bern, hat jüngst die Zahlen erhoben: Aktuell gibt es in der Schweiz 3845 Kitas, die 92’513 Plätze zur Verfügung stellen. Das sind rund 20 Prozent mehr Kitas und 17 Prozent mehr Plätze als vor vier Jahren – und in den Augen des bürgerlichen Lagers genug.

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Anders sieht das die SP. Sie reichte im Sommer 2023 die Kita-Initiative ein. Mattea Meyer, Co-Präsidentin der SP Schweiz, sammelte mit dem Slogan «Ohne Kitas würde die gesamte Wirtschaft zusammenbrechen» Unterschriften. Die Initiative forderte, dass jedes Kind Anspruch auf familienergänzende Kinderbetreuung habe und dass die Kosten maximal 10 Prozent des Einkommens der Eltern betragen würden.

Sie schlug in die Kerbe, dass die Frauen die Care-Arbeit übernehmen würden, deswegen nur Teilzeit arbeiten könnten, Karrierechancen verpassten und folglich weniger verdienten. Ihr Lohn entspreche einem geringeren Haushaltseinkommen, von dem ein Grossteil für Steuern und Betreuungskosten draufgehe. Das Argument wird von einer OECD-Studie gestützt, gemäss der nur gerade ein Drittel des Lohnes einer arbeitenden Mutter übrig bleibt.

Es klafft ein Stadt-Land-Graben

Doch angesichts der abnehmenden Nachfrage nach Kita-Plätzen in den Städten haben weitere Bundeszuschüsse politisch einen schweren Stand. Auf dem Land hingegen sieht die Situation anders aus. Während in Basel 50 Prozent der Kinder ein Kita-Platz zur Verfügung steht, sind es in Appenzell Innerrhoden gerade mal 6 Prozent. Urbane, vor allem aber ressourcenstarke Kantone – darunter Zürich, Genf oder Zug – weisen also mehr Kitaplätze auf als strukturschwächere Kantone wie Solothurn oder Glarus.

Der schweizweite Ausbau akzentuierte die Problematik gar noch, da der Ausbau der Betreuungsplätze vor allem in urbanen Regionen erfolgte. In Sachen Betreuungsangebote für Kinder gibt es demnach einen Stadt-Land-Graben, den die weitere Förderpolitik berücksichtigen sollte. Es gilt, die Lücken auf dem Land gezielt anzugehen.

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